Übergriffe in Köln:"Das ist eine klare Grenzüberschreitung"

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Anja Blobner hat täglich mit Frauen zu tun, die Gewalt erlebt haben. (Foto: Günther Reger)

Anja Blobner vom Verein "Frauen helfen Frauen" über sexuelle Gewalt gegen Frauen und die Taten von Köln

Interview von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

In Köln und mehreren anderen deutschen Städten sind in der Silvesternacht Frauen auf öffentlichen Plätzen massiv sexuell belästigt und ausgeraubt worden. Die SZ sprach darüber mit der Diplom-Sozialpädagogin und Traumafachberaterin Anja Blobner, die seit sieben Jahren für den Verein "Frauen helfen Frauen Fürstenfeldbruck" arbeitet.

SZ: Die massenhaften Vorfälle sexueller Gewalt gegen Frauen an Silvester in Köln, ist das eine neue Dimension?

Anja Blobner: Das hört sich so an. Tatsächlich macht es mich sprachlos, was da passiert ist. Dass es so organisiert daher kommt, das ist nun wirklich eine neue Dimension.

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Der Tatverdacht gegen sie habe sich nicht erhärtet. Das teilte die Staatsanwaltschaft mit.

Müssen Frauen sich künftig auf Straßen und Plätzen mehr fürchten?

Nein, das glaube ich nicht. Es gibt leider schon immer Übergriffe im öffentlichen Raum, neu ist, dass man jetzt nach den Vorfällen in Köln wieder sehr viel mehr darüber redet. Dass Frauen so etwas erleben, ist kein neues Phänomen. Grundsätzlich finden die meisten sexuellen Übergriffe aber nicht im öffentlichen, sondern im privaten Umfeld statt.

Opfern und Augenzeugen zufolge sind die Täter dem Aussehen nach zum größten Teil nordafrikanischer und arabischer Herkunft. Wie ist die Erfahrung aus Ihrer Arbeit: Kommt Gewalt gegen Frauen in diesen Kulturen häufiger vor?

Bei meiner Arbeit mit Opfern von sexueller Gewalt habe ich größtenteils mit deutschen Frauen zu tun, die Übergriffe von deutschen Männern erlebt haben. Die Bevölkerung hier ist halt auch größtenteils deutsch. Aber die Rollenbilder spielen schon eine Rolle, und um die Rollenbilder der deutschen Männer ist es auch nicht immer zum Besten bestellt.

Werden mit der Zuwanderung solche Probleme importiert?

Nein, das glaube ich nicht. Solche Probleme haben wir schon selber auch, die werden nicht von außen zu uns gebracht.

Der Verein Frauen helfen Frauen kümmert sich seit mehr als 30 Jahren um Frauen, die Gewalt erlebt haben. Seit 25 Jahren gibt es im Landkreis auch ein Frauenhaus. Offenbar nimmt Gewalt gegen Frauen nicht ab. Wo kommt sie am häufigsten vor?

Am häufigsten im privaten Umfeld: innerhalb der Partnerschaft, Freundschaft, im Arbeitskontext. Der Psychopath, der auf einer Party auftaucht oder in der Tiefgarage hervorspringt - das ist selten. Eher ist es der nicht-psychopathische Arbeitskollege, der aber zum Beispiel nach der Weihnachtsfeier meint, Macht ausüben zu müssen und sexuelle Gewalt anwendet.

Auch bei einem Vortrag einer von sexueller Gewalt Betroffenen kürzlich im Landratsamt hieß es, dass es zuvorderst um Machtausübung geht.

Ja, es geht um Macht. Darum, jemanden gefügig zu machen. Das geht, indem ich sexuelle Macht ausübe.

Nicht nur im wahren Leben sind Frauen solcher Gewalt ausgesetzt. Wie viel Möglichkeiten bietet das Internet?

Digitale Gewalt, das geht ganz einfach. Und das nimmt zu. Für viele fühlt sich das an, als ob das, was sich dort abspielt, ohne Konsequenzen bleiben wird.

Frauen erhalten dann gerne Tipps, wie sie sich zu verhalten haben, etwa auch jenen missglückten Vorschlag der Kölner Oberbürgermeisterin von einer Armlänge Abstand. Warum sind es immer die Frauen, die ihr Verhalten ändern sollen?

Das ist ein ganz großes Thema, und Köln zeigt das ja schön. Bei der Diskussion ging es gleich wieder in eine Richtung: um die Täter, was sind das für welche, und so weiter. Es geht gar nicht mehr um die Betroffenen. Dabei weiß ich als Beraterin, dass die entscheidende Frage ist: Was macht das mit einem? Auf einer ausgelassenen Silvesterparty, und dann wird man da begrapscht? Darüber, wie die Betroffenen mit dem Erlebten umgehen, wie sie Unterstützung erfahren, wird viel zu wenig gesprochen. Eigentlich kann man das in einer Forderung zusammenfassen: Bringt nicht den Mädchen bei, dass sie sich schützen, sondern bringt den Jungs bei, dass sie nicht vergewaltigen!

Wie kann man die Gesellschaft mehr dafür sensibilisieren?

Wenn solche Taten passieren und Täter dann nicht entsprechend verurteilt werden und, zum Beispiel wie jetzt in Köln, wohl ziemlich viele Vorfälle fallen gelassen werden müssen, dann ist dann ein Problem. Oder oft werden solche Vorfälle als Überraschungsangriff gewertet und sind dann strafrechtlich nicht relevant.

Es wäre Sache des Staates, dies zu ändern.

Da brauchen wir eine andere Gesetzeslage, damit solche Dinge auch strafrechtlich verfolgt werden können. Denn was da passiert ist, ist eine klare Grenzüberschreitung.

© SZ vom 08.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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