Theaterkritik:Voller Überraschungen

Tanztheater

In einer Zeitschleife gefangen und von Dämonen umgeben, sind die Tänzer in der Szene "Zero".

(Foto: Günther Reger)

Eric Gauthiers Tanztheater bezaubert das Fürstenfeldbrucker Publikum

Von Edith Schmied, Fürstenfeldbruck

Taiwan, Berlin, New York, Kanada und Fürstenfeldbruck. Eine zumindest ungewöhnliche Aneinanderreihung, mit der Eric Gauthier das Publikum im ausverkauften großen Stadtsaal begrüßt. Lässig in Jeans gekleidet, steht er auf der Bühne, unaufgeregt plaudert er über sich - die Haare seien beim heimischen Friseur seitlich etwas zu kurz geraten - und die folgenden Stücke seines Programms "Infinity", das aus acht internationalen Choreografien besteht.

Der international renommierte Choreograf liebt das Spiel mit den Zahlen. Seine achte Spielzeit am Theaterhaus Stuttgart nennt er deshalb "Infinity". Die liegende Acht symbolisiert Unendlichkeit, eine Endlosschleife in der sich die 15 Tänzerinnen und Tänzer bewegen und von der man sich wünscht, dass sie an diesem Abend niemals zu Ende gehen würde. In einem fort könnte man sich dieser Perfektion an Bewegung hingeben, den fließenden Körpern, die mal akrobatisch dann mystisch schlängelnd eine Leichtigkeit vermitteln, als ob Tanz die einfachste Sache der Welt wäre. Wie schon vor zwei Jahren, als Gauthier mit "Future Six" brillierte, endet dieser wunderbare Abend unter dem donnernden Applaus der Zuschauer.

Nanine Linning knüpft an ihre Vorstellung im letzten Jahr an. Wie in "Zero" schafft sie mit minimalistischen Mitteln eine apokalyptische Szenerie. Der Atem stockt, wenn sich maskierte dämonische Tänzer in schwarzen, unheimlich knisternden Reifröcken der wehrlosen Wesen bemächtigen, die sich eingeengt auf der Fläche einer Black Box wie in Zeitlupe bewegen. Dahinter steht Francisco Goyas finsterstes Bild aus der Serie von "Black Paintings", in dem Saturn seinen Sohn verschlingt.

Die "Floating Flowers" von Po-Cheng Tsai vermitteln asiatische Poesie. Leicht und schwerelos, unter der Fülle von bauschigen Reifröcken entwickelt sich ein zauberhafter Pax de deux voller Überraschungen wie die Reise des Lebens selbst. Johan Inger setzt mit "Now and Now" die bewusst gewählte Abwechslung von Leichtigkeit und Schwere im Programm fort. Ernst und schonungslos erkundet das Paar alle Facetten einer Beziehung, von traurig, ernst und theatralisch, Rollentausch inklusive, bis zur Leichtfüßigkeit und kindlichem Spiel.

Paco, Pepe und Pluto sind drei Jungs. Sie bewegen sich nach der Choreografie von Alejandro Cerrudo zu den Songs von Dean Martin, dem "King of Cool", scheinbar nackt, lasziv, sexy, erotisch, gepickt mit einem Hauch von Ironie. Gauthier charakterisiert das Stück augenzwinkernd mit "Fifty Shades of Grey". Wie ein Wirbelwind fegt die komplette Companie nach der Idee von Janice Garrett und Charles Moulton über die Bühne. Der ständige Wechsel und die schwierige Koordination wirken dennoch sehr relaxed, amerikanisch eben, "very Broadway", wie Gauthier sagt, eine "Tanzklatsche" und eine Explosion von Glück in nur vier Minuten.

Ebenso wie Nanine Linning arbeitet Cayetano Soto zum zweiten Mal für Gauthier. Rasant und schnell sind die Tänzer in Kostümen unterwegs, die an französische Flics erinnern. Zu den Klängen eines Musettewalzers schweben sie durch morgendliche Nebelschwaden, begeben sich zackig, eckig auf Verfolgungsjagd, tanzen zu südamerikanischen Rhythmen, trippeln überraschenderweise im klassischen Ballett über Schachbrettmuster und entschwinden zu Naotturno-Klängen in die Nacht.

"Two become three, wie das geht, wissen Sie ja", scherzt Gauthier als Moderator über die Ballettszene des Norwegers Alexander Ekman. Es ist die amüsante Geschichte eines jungen Paares, das mitten im Leben steht. Da fällt, zack, plötzlich ein Baby vom Himmel und stellt die jungen Eltern mit seinem Weinen vor ganz alltägliche Probleme.

Der mittlerweile 82-jährige Hans von Manen ist der große Mann des zeitgenössisch erneuerten Balletts und bildet mit "Black Cake" den Abschluss des großartigen Theaterabends. "Es ist 30 Jahre alt", moderiert Gauthier in gewohnter Manier recht locker, "aber es sieht frisch aus." Das Stück weist die meisten Elemente des klassischen Balletts auf, die sich aber im Laufe einer steifen Stehparty in Nichts auflösen. Nach der Musik von Pjotr Iljitsch Tchaikowsky und Igor Strawinsky bewegen sich die Paare zunächst gesittet im Pax de deux, pflegen die ungezwungene Plauderei oder bewegen sich schablonenhaft wie Schaufensterpuppen. Mit zunehmendem Champagnerkonsum gerät die Fete allerdings außer Kontrolle. Angeschickert und scheinbar unkontrolliert stolpern die Gäste über die Bühne, während Eric Gauthier als Butler für Nachschub sorgt. Die 15 Tänzer aus ganz Europa und Übersee verschmelzen zu einer herrlich komischen Abschlussszene, unbeschwert, leicht und locker wie der Abend selbst.

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