Tanz:"Körpersprache ist immer eindeutig"

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Die Niederländerin Nanine Linning gehört zu den gefragtesten modernen Choreografinnen. Am Samstag gastiert sie in Bruck

Interview Von Anna Landefeld-Haamann, Fürstenfeldbruck

Die niederländische Choreografin Nanine Linning wühlt und bohrt in den Untiefen menschlicher Befindlichkeiten. Ihre Inszenierungen wollen dabei mehr sein als bloßes Tanztheater. Immer geht es ihr um ein Gesamtkunstwerk aus Tanz, Kostüm, Licht, Video, Bühne und Skulptur. Mit ihren Inszenierungen "Zero" und "Endless" gastiert die Tanzkompanie des Heidelberger Theaters am Samstag, 14. März, um 20 Uhr im Veranstaltungsforum.

SZ: Frau Linning, Ihren Inszenierungen wohnt immer etwas sehr Zerstörerisches und Düsteres inne. Woher kommt das?

Nanine Linning: In meiner Arbeit geht es viel darum, dass wir letztlich alleine sind, dass die Menschen doch nicht so großartig und unfehlbar sind, wie sie vielleicht meinen. Gerade im Vergleich zum Universum erscheinen wir so klein. Etwas Ähnliches gilt für menschliche Beziehungen. Wenn eine solche zerbricht, ist der Schmerz, den man empfindet, unendlich stark. Man meint, man erhole sich nie wieder davon.

Für die Menschen in ihren Stücken besteht also keinerlei Hoffnung auf ein gutes Ende?

Gerade in diesem dunklen Nichts steckt doch sehr viel Hoffnung. Aus allem, was stirbt, entsteht wiederum etwas Neues. Das ist so wunderbar am Leben, aber eben auch sehr hart. Ich möchte den Zuschauern diese Doppelseitigkeit zeigen.

Wie wird sich diese Doppelseitigkeit am kommenden Samstag in Fürstenfeldbruck zeigen?

In beiden Programmen geht es um Brüche, um Auflösung und schließlich auch um einen Neuanfang - einmal im Makro- und einmal im Mikrokosmos. In "Zero" möchte ich erzählen, wie die Welt entstanden ist. Aber auch, was passiert, wenn sie beginnt, sich langsam aufzulösen. Ich habe schon immer darüber fantasiert, wie wir Menschen wohl damit umgehen würden - mit dem Nichts, mit der Dunkelheit. "Endless" hingegen handelt von einer Beziehung zwischen zwei Personen. Der Zuschauer erlebt diese Beziehung vom Kennenlernen bis zur Trennung.

Endless erzählt Linning die Entstehung der Welt. (Foto: Kalle Kuikkaniemi)

Sie spalten dieses Paar in insgesamt zehn Tänzern auf - warum?

Ich verändere mich in einer Beziehung. Ich bin später nicht mehr die, die ich am ersten Tag gewesen bin oder im ersten Jahr. Und wenn die Beziehung auseinanderbricht, bin ich auch wieder ein vollkommen anderer Mensch. Wir wachsen, wir entwickeln uns. Wir reagieren auf unseren Partner. Ich habe mich gefragt, wie ich das theatral umsetzen kann. Jeder Lebensabschnitt wird von einem anderen Tänzerpaar dargestellt.

Vor einer Choreografie stehen also viele Fragen und Gedanken?

Ja, so gehe ich immer in die ersten Proben rein. Ich erkläre meinen Tänzern sehr ausführlich, warum ich diese Inszenierung unbedingt machen muss und was ich mit ihr ausdrücken möchte. Ich interessiere mich sehr für Naturwissenschaften genauso wie für Psychologie und Neurowissenschaften. In Vorbereitung auf "Zero" haben wir uns sehr viele BBC-Dokumentationen angeschaut - über das Universum, Planeten, Schwarze Löcher oder die Nasa.

Was fasziniert Sie so sehr am Universum?

Die Schwerelosigkeit. Ich finde es eine sehr spannende Frage, wie sich der menschliche Körper in dieser Art von Dreidimensionalität fortbewegen kann. Dann stellt man schnell fest, wie frustrierend die Schwerkraft ist. Wenn ich springe, saugt mich der Boden unweigerlich wieder an. Auf der Erde können wir nicht einmal die Hälfte aller Bewegungen ausführen, zu denen unser Körper theoretisch in der Lage wäre.

Die Niederländerin Nanine Linning gehört zu den gefragtesten modernen Choreografinnen. (Foto: Horst Hamann)

Wie entsteht aus diesen ganzen Überlegungen schließlich Bewegung, also die Choreografie?

Nach dem ich die Tänzer in meine Gedankenwelt geholt habe, gebe ich ihnen konkrete Aufträge. Beispielsweise habe ich folgende Szene im Kopf: Ein Trio. Die Tänzerin soll auf den Schultern der beiden Tänzer sitzen. Dazu gebe ich Thema, Tempo und Dauer vor. Die drei Tänzer fertigen dann eine Art Skizze an, die ich wiederum überarbeite und an die drei zurückgebe. Das geht solange hin und her, bis wir einen bestimmten Punkt erreichen, an dem ich spüre: Ja, das ist es und jetzt wird nichts mehr verändert. Aus den Szenen entwickeln wir dann eine dramaturgische Linie.

Das verlangt dem Publikum sehr viel Konzentration ab. Entsteht da nicht viel Raum für Missverständnisse?

Körpersprache ist immer eindeutig, weil sie etwas sehr Intuitives ist. Sie benötigt keine ausführlichen Erklärungen, kein Programmheft. Verliebtsein, zum Beispiel, lässt sich sprachlich kaum einfangen. Hingegen genügt ein kurzer Blick auf ein verliebtes Paar und jeder kann nachfühlen, was in den beiden vorgeht.

© SZ vom 13.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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