SZ-Serie: "Meisterhaft", Folge 2:Zart und hart

Otto Baier ist der Schmied von Obermenzing, ein Meister seines Faches und international geachtet für seine Kunst. Sein Metier zählt zu den ältesten Handwerksberufen überhaupt

Von Stefan Mühleisen, Obermenzing

Manchmal liegt das Kolossale im Kleinen, zum Beispiel in einer stählernen Gottesanbeterin. Den dreieckigen Kopf geneigt, die Flügel erhoben, die Fangarme gespreizt, sitzt das Ding auf Otto Baiers Hand. Es wiegt schwer, wenngleich dieses anmutige Vieh aus Metall so leicht und filigran wirkt, als setze es jeden Moment zum Angriff an. Es ist die Kraft zu spüren, mit der dieses Tier aus einer einfachen Stahlplatte in diese Form gehämmert, gespalten, gezwungen wurde - und wie eisern, aber vergeblich sich der Werkstoff widersetzt hatte, sich nach den höllischen Hitzebädern in der prasselnden Esse in diese raffinierte Form bringen zu lassen. "So eine kleine Sache kann eine gewaltige Aufgabe sein", sagt Otto Baier.

Der 72-Jährige sagt das in bescheidenem Ton, wenngleich er einem Berufsstand angehört, der seit Urzeiten für die wuchtigen, die bleischweren Aufgaben zuständig ist: Baier ist der Schmied von Obermenzing und ein Meister seines Faches. Er ist international geachtet für seine Schmiedekunst. Sein Können ist auch in München vielfach zu sehen, in Kirchen, auf Plätzen, im Museumsquartier. Dabei ist das Besondere an Otto Baier seine gleichzeitig hochmoderne und althergebracht-traditionelle Einstellung zu seinem Beruf: "Das Handwerk allein hatte mir nie gereicht, ich wollte gestalten."

SZ-Serie: "Meisterhaft", Folge 2: Mit aller Kraft: Wer wie Otto Baier mit heißen Eisen arbeitet, muss richtig hinlangen können.

Mit aller Kraft: Wer wie Otto Baier mit heißen Eisen arbeitet, muss richtig hinlangen können.

(Foto: Robert Haas)

Gerade ist er dabei, ein Symbol für das Leben zu gestalten, ein schneckenartiges Objekt soll es werden. Das Höllenfeuer in der Esse in seiner Werkstatt an der Pippinger Straße lodert um einen glühenden u-förmigen Stahlbrocken, so groß wie ein Nackenkissen. Baier lugt über seine Lesebrille, wischt sich die Hände an der derben Lederschürze ab. Dann greift er sich eine große Zange und wuchtet das Trumm hinüber zur Schmiedepresse, die aussieht wie eine monströse, aufgestellte Gürtelschnalle, wobei der Dorn ein vor Schmierfett triefendes, armdickes Gewinde mit einem Block ist, der nun auf den glühenden Stahlbrocken herunterfährt - und ihm einen kleinen Knick versetzt.

So geht es seit Jahrzehnten - ach was: seit Jahrhunderten - zu auf dem Grundstück an der Ecke zur Dorfstraße, gleich neben der Kirche und dem Wirtshaus. Steuerakten belegen, dass es seit 500 Jahren an dieser Stelle eine Schmiede gibt; es ist eine der ältesten Schmiedestätten Bayerns. Über die Generationen blieb sie in Familienbesitz, wenngleich die Namen durch Einheirat wechselten.

Das Metier zählt dabei zu den ältesten Handwerksberufen überhaupt, seit jeher wichtig auch für die Waffenherstellung. Im Dorfleben war der Schmied eine zentrale Figur, denn nur er konnte die bäuerlichen Arbeitsgeräte fertigen und reparieren. Baier kann sich noch gut erinnern, wie sein Vater die Hufeisen am Amboss bearbeitete, während draußen im Hof die Rösser schnaubten. Als kleiner Bub sah er noch, wie innerhalb der rußgeschwärzten Wände Eisenringe über Wagenräder gezwängt oder stählerne Aufbauten für Lastwagen geformt wurden.

SZ-Serie: "Meisterhaft", Folge 2: Viel Gefühl für Formen ist ebenfalls gefragt.

Viel Gefühl für Formen ist ebenfalls gefragt.

(Foto: Robert Haas)

Schon früh war dem heute 72-Jährigen klar, dass er das Familienerbe antreten wird. Allerdings wollte er nicht allein Gebrauchsgegenstände fertigen, die Zeit der Hufeisen und Eisenbereifung war ja ohnehin vorbei. Er wollte das traditionelle Handwerk weiter pflegen, aber auch schöpferisch tätig sein - und dabei mehr leisten als bloßes Kunsthandwerk. Wie ihm das gelingt, hat vor Jahren der damalige Leiter der Neuen Sammlung München, Florian Hufnagl, in einem Foto-Band über Otto Baier folgendermaßen beschrieben: "In souveräner Beherrschung traditioneller Handwerkstechniken wird hier der Rahmen der Konvention gesprengt."

Das Gewöhnliche ist nicht die Sache von Otto Baier, dem gelernten Kunstschmied und Diplom-Designer mit Examen von der Fachhochschule in Aachen, als er im Alter von 27 Jahren die Schmiede übernimmt. Wie sein Vater modelliert er Gebrauchsstücke aus Metall, doch die sind allesamt keine Allerweltsgeräte. Dutzende Modelle von Lampenleuchtern für Münchner Kirchen baumeln am Werkstatt-Fenster; die Originale sind moderne Hänge-Objekte, die sich dennoch zurückhaltend einzufügen haben in die Architektur des historischen Sakralraums. "Das ist nicht einfach", sagt der Schmied. Unter seinem Hammer entstanden zudem Altarkreuze, Tabernakel und der eine oder andere Ambo, ein Lesepult. Dazu mannshohe Turmkreuze, etwa für die evangelische Carolinenkirche oder für Sankt Wolfgang in Pipping. Eine behutsam moderne Gestalt gab Baier auch dem Ziffernblatt der großen Uhr, die auf der dem Tal zugeneigten Seite des Alten Rathauses mit einem wuchtigen Zeiger die Zeit anzeigt.

SZ-Serie: "Meisterhaft", Folge 2: Filigran: Auch der kleine Pelikan musste sich in seiner Entstehung den schweren Hämmern beugen.

Filigran: Auch der kleine Pelikan musste sich in seiner Entstehung den schweren Hämmern beugen.

(Foto: Robert Haas)

Doch seinen Ruhm im Bereich der angewandten Kunst errang sich Baier mit seinen zweckfreien Objekten, die europaweit ausgestellt werden und für die er mit Preisen ausgezeichnet wurde. So wie seine schmiedeeiserne Visualisierung des fundamentalen Geometrie-Lehrsatzes des Pythagoras (a² +b² = c²). Schlicht und kraftvoll ist diese Skulptur aus drei korrespondierenden Metallplatten, als wäre sie organisch aus dem stahlharten Material herausgewachsen. Viele Museen haben seine Werke angekauft, darunter das MAK Wien und die Neue Sammlung München.

Nach all den Jahren ist Otto Baier keineswegs müde geworden, auch wenn das Schmieden ein anstrengendes Handwerk ist. "Das Material setzt einem Widerstand entgegen. Man muss sich das Ergebnis erkämpfen", sagt er lächelnd. Er hat jetzt die Gottesanbeterin zur Seite gestellt; dafür lässt er einen kleinen stählernen Pelikan durch die Finger gleiten. Wieder so ein faszinierendes Unikat, das sich viele Arbeitsstunden sperrte, von Baier in diese elegante Form gebracht zu werden. Gerade hatte er noch erzählt von einer riesigen, zwei Tonnen schweren Platten-Skulptur, die er für den TU-Campus in Garching fabriziert hat. Nun betrachtet er den zarten Vogel und sagt: "Man verliert das rechte Maß, wenn man nur große Dinge macht."

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