SZ-Serie: Sagen und Mythen, Folge 17:Die Sühnekreuze von Unterschweinbach

Zwei uralte steinerne Denkmäler erinnern an ein Liebesdrama, bei dem angeblich drei Brüder vor mehr als tausend Jahren an einem Tag starben. Annemarie Strähhuber liest regelmäßig Gespenstergeschichten vor und ist überzeugt, dass die Erzählung einen wahren Kern hat

Von Gerhard Eisenkolb, Unterschweinbach

Die Anfahrt nach Unterschweinbach ins hügelige Hinterland der uralten Kulturlandschaft von Fürstenfeldbruck bietet fantastische Ausblicke. An einem warmen, föhnigen Vorfrühlingstag liegt dem Ausflügler auf der Anhöhe vom Stephansberg die Alpenkette wie ein Geschenk zu Füßen. Das Thermometer zeigt 18 Grad an, man hat das Gefühl, zuschauen zu können, wie das noch braune, trockene Gras anfängt, sich von unten grün zu färben. Hinter dem nächsten Ort Aufkirchen, den Kaiser Heinrich 1017, also vor genau tausend Jahren, dem drei Jahre zuvor gegründeten Bistum Bamberg geschenkt hatte, führt die Straße nach Unterschweinbach in leichten Kurven bergab.

In der Talsenke, kurz vor dem ersten Haus, steht linker Hand beim Ortsschild an der Abzweigung der Alpenstraße, wie als Kontrast zur Weite der Landschaft, auf einer unscheinbaren Wiesenfläche ein etwa eineinhalb Meter hohes, grobschlächtig gearbeitetes und stark verwittertes Steinkreuz aus Kalktuff. Das Kreuz erinnert an den Tod von drei Rittern. Die Brüder sollen in Unterschweinbach, zwischen den Burgen von Spielberg und dem heutigen Weyhern, vor mehr als tausend Jahren bei einem Liebesdrama an einem Tag auf tragische Weise ums Leben gekommen sein.

Wie alt das Kreuz ist, weiß niemand. Sein Zustand und vor allem die archaische Form sind jedoch Indizien dafür, dass es schon einige Jahrhunderte überdauert hat. Im vom Landesamt für Denkmalpflege herausgegebenen Buch über Denkmäler im Landkreis Fürstenfeldbruck wird das Kreuz ins Spätmittelalter datiert. Gefährdet ist das Denkmal am Wegrand, seit es Autos gibt. Mehrere Verkehrsunfälle musste es seither überstehen. Und die haben Spuren und große Risse hinterlassen, die auch die Restaurierung durch einen Steinmetz vor acht Jahren nicht mehr kaschieren konnte. Als das Kreuz nämlich noch auf den Wurzeln einer mächtigen Esche in einer Verkehrsinsel mitten in der Abzweigung zur Alpenstraße stand, rammten es Autofahrer mehrmals.

Serie Sagen Brudermord

Eines der Steinkreuze steht bei der spätromanischen Kirche, wo zwei der drei Brüder ihr Leben aushauchten.

(Foto: Günther Reger)

Inzwischen steht der Stein um einige Meter versetzt an einem nicht mehr ganz so exponierten Platz zwischen zwei erst vor einigen Jahren gepflanzten Linden in einem Kiesrund vor einem Halbkreis immergrüner Eiben. Erinnern schon die Eiben an eine nicht geglückte Friedhofsgestaltung, grenzt in Richtung Norden auf der andren Straßenseite eine annähernd vier Meter hohe Thujahecke den Platz wie eine Mauer brutal ein. Bei dem Kreuz handelt sich um eines von ursprünglich drei Sühnekreuzen, die alle an eine schreckliche Bluttat erinnern; an ein Eifersuchtsdrama, bei dem Liebe zuerst in Hass und erst im Tod wieder in Versöhnung umschlägt.

Der Sage nach verlieben sich die beiden adeligen Brüder Siegfried und Karlmann in das Burgfräulein Berta. Die Schöne soll viele Bewerber ausgeschlagen haben, um schließlich dem jüngsten der Brüder, Karlmann, ihr Herz zu schenken. Siegfried wagt es nicht, Berta seine Liebe zu gestehen. In seiner Verbitterung und Verzweiflung beschließt er, die Geliebte zu entführen, begegnet kurz nach der Tat aber zufällig Karlmann. Es kommt zum Kampf, der für beide mit dem Tod endet. Der dritte der Brüder, Otto, der wohl auch ein Auge auf die schöne Berta geworfen hatte, sinkt vor Schrecken und Gram tot nieder, nachdem er die Leichen seiner Brüder entdeckt.

Der an die alttestamentarischen, ebenfalls eifersüchtigen Brüder Kain und Abel erinnernde tödliche Kampf soll sich im zehnten Jahrhundert just an der Stelle zugetragen haben, an der das Sühnekreuz am östlichen Ortsrand früher stand und an der Siegfried Karlmann mit seinem Schwert verletzte. Das urkundlich 773 erstmals erwähnte Unterschweinbach (Suueinbah) wäre zumindest alt genug, dass sich das vage der Zeit nach dem Sieg Ottos des Großen über die Ungarn auf dem Lechfeld im Jahr 955 zugeordnete Geschehen hier hätte zutragen können. Und dennoch bleibt alles nur Vermutung.

Serie Sagen Brudermord

Annemarie Strähhuber bei dem wohl älteren Sühnekreuz am Ortsschild.

(Foto: Günther Reger)

Die hübsche Berta wuchs der Sage nach in der "Glonnburg" auf, die damals bei Weyhern gestanden haben soll, dort wo jetzt das Schloss Weyhern liegt. Und die drei Brüder stammten angeblich von einem adeligen Geschlecht, das seinen Sitz beim jetzigen Schloss Spielberg hatte. Auch der Ursprung dieses Schlosses wird auf eine mittelalterliche Burg am gleichen Standort zurückgeführt. Zuletzt diente das frühere Schloss Spielberg Franziskanerinnen als Kloster. Als die Nonnen keinen Nachwuchs mehr fanden, wurde es verkauft und in ein Seniorenheim ungewandelt.

"Der Erzähler", ein in Augsburg im neunzehnten Jahrhundert zweimal wöchentlich erscheinendes "Unterhaltungsblatt für Jedermann" widmete 1839 der oberbayerischen Volkssage aus Unterschweinbach "Die drei Kreuze" dreieinhalb detailverliebte Textseiten. Der namentlich nicht genannte Verfasser des Textes will die Sage aus dem "Munde eines Einwohners" erfahren haben, wie er schreibt. Sagen zu sammeln und aufzuschreiben passte in die damalige Zeit, waren doch 1816 und 1818 die beiden Bände deutscher Sagen der Brüder Jakob und Wilhelm Grimm erschienen.

Vielen Menschen begegnet man um die Mittagszeit in Unterschweinbach auf der Hauptstraße nicht. Aber von den wenigen, die hier anzutreffen sind, weiß jeder oder jede zumindest andeutungsweise um die Bedeutung der Sühnekreuze und den Tod der Brüder. Das Geschehen ist also noch immer gegenwärtig, vielleicht auch deshalb, weil zwei der ursprünglich drei Steinkreuze genau wie die Sage überdauert haben.

Das zweite, kleinere und höchstwahrscheinlich viel jüngere Kreuz ist unmittelbar neben dem Maibaum im Ortszentrum nur einen Steinwurf unterhalb der Kirche Sankt Mariä Himmelfahrt zu finden. Den Maibaum schmückt neben Tafeln mit einem Masskrug und einem Hähnchenbein, einem Schwein und diversen Werkzeugen auch der große Schriftzug der Burschen: "Unterschweinbach Lebe - Hoch".

kloster spielberg

Der Kupferstich von Michael Wening aus dem Jahr 1701 zeigt das Oberschweinbacher Schloss Spielberg, das ein Nachfolgebau der Spielburg sein soll.

Das relativ niedrige Kreuz am Rand des Dorfplatzes markierte ursprünglich den Ort, an dem die beiden tödlich verletzten Brüder Siegfried und Karlmann Arm in Arm umschlungen und im Tode versöhnt, ihr Leben ausgehaucht haben sollen. Das dritte Kreuz stand angeblich bis 1837 am westlichen Ortsrand. Und zwar genau an der Stelle, an der der Schrecken den jungen Otto hinraffte. Eigentlich hätte auch die unglückliche Berta ein eigenes, viertes Kreuz verdient: Das einst so stolze Burgfräulein verlor nach dem Verlust ihres Geliebten alle Lebensfreude, "ihre Rosenwangen bleichten", ist dazu im Text von 1839 zu lesen. Sie grämte sich und ward eines Tages am Kreuz Karlmanns gefunden, das sie noch im Tod fest umschlungen hielt.

Sühnekreuze mussten, um eine lange Lebensdauer zu gewährleisten, meist aus Stein gemeißelt werden. Das Material der Unterschweinbacher Kreuze, der Kalk- oder Almtuff aus porösem Sekundärsedimentgestein könnte im Landkreis gebrochen worden sein. Ganz in der Nähe, in Rottbach, soll es früher einmal sogar einen Kalktuff-Steinbruch des Brucker Klosters Fürstenfeld gegeben haben, berichtet der Maisacher Chronist und Historiker Stefan Pfannes.

Der klobige, mächtige Turm der romanischen Chorturmanlage der trutzigen Unterschweinbacher Kirche, die wohl aus dem 13. Jahrhundert stammt, beherrscht den Ort wie früher der Burgfried einer mittelalterlichen Wehranlage. Die Bluttat mag zwar unendlich lange zurück liegen, doch ist die Kirche neben den Steinkreuzen ein weiteres Bindeglied ins Mittelalter und damit auch zum Tod der Brüder. Zudem ist die Sage ein idealer Stoff für den Unterricht in Heimatkunde.

So, wie die Geschichte früher wohl von Generation zu Generation weitererzählt wurde, wird sie nun an der Schule erzählt und ist deshalb im kollektiven Gedächtnis der Unterschweinbacher verankert geblieben. Ebenso wie in Fürstenfeldbruck die Bluttat des Herzogs Ludwig der Strenge, der 1256 seine Ehefrau Maria von Brabant enthaupten ließ, weil er sie der Untreue verdächtige, und zur Sühne für seine Bluttat das Kloster Fürstenfeld errichtete.

Annemarie Strähhuber liest seit 25 Jahren Geister- und Gespenstergeschichten auf dem Jexhof. Sie kennt die Unterschweinbacher Kreuze und deren Geschichte gut. Und Strähhuber spricht aus Erfahrung, wenn sie berichtet, dass gerade Kinder solche blutrünstigen Geschichten wie die vom Tod der drei Brüder und den drei Kreuzen gerne hören. "Weil es angenehm ist", wie sie sagt, "wenn es einem gruselt" und man eine Gänsehaut bekommt. Auch weil der Zuhörer weiß, dass ihm selbst nichts passieren kann. Für das angenehme Gruselgefühl ist für Strähhuber allerdings die Geborgenheit unverzichtbar, die sie selbst als Kind erlebte, als ihr ihre Oma solche Geschichten erzählte. Geschichten, bei denen es dem Zuhörer gruselt, brauche man einfach, meint Strähhuber. Das Gefühl, das sie dabei empfindet vergleicht sie mit dem einer Fahrt mit der Geisterbahn. Je mehr eine Sage oder Gruselgeschichte ausgeschmückt wird, für umso unwahrscheinlicher hält sie die Maisacherin. Die Volkssage von den drei Kreuzen hat für Strähhuber zumindest einen wahren Kern. So etwas könne man nicht erfinden, meint sie überzeugt.

Ein wichtiges Zeugnis der Vergangenheit sind auch für den Bürgermeister Josef Nefele die Sühnekreuze. "So etwas muss man erhalten", sagt er und verweist darauf, dass die Gemeinde Egenhofen, zu der Unterschweinbach gehört, einschließlich der Straßenbauarbeiten insgesamt 48 000 Euro ausgegeben hat, um die Kreuze zu restaurieren und zu versetzen. Wobei das meiste Geld nicht für die steinernen Denkmäler, sondern für die Straßenarbeiten ausgegeben wurde.

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