SZ-Serie "Inklusion" (Teil 16):"Das motiviert mich für die Zukunft"

Rio 2016 Paralympics

Denise Schindler in Rio auf dem Weg zu ihrer Silbermedaille.

(Foto: Jens Buettner/dpa)

Im Alter von drei Jahren wird Denise Schindler bei einem Unfall schwer verletzt. Am rechten Bein trägt sie seither eine Prothese. 27 Jahre später gewinnt die Olchingerin bei den Paralympics in Rio Silber und Bronze

Interview von Karl-Wilhelm Götte, Olching

Denise Schindler hat bei den Paralympics in Rio vor zwei Wochen zwei Medaillen im Radsport gewonnen. Bereits 2012 holte sie Silber im Straßenrennen, und 2015 wurde sie Weltmeisterin in der Einerverfolgung auf der Bahn. Die 30 Jahre alte gebürtige Chemnitzerin wohnt seit diesem Jahr in Olching. Sie hat einen amputierten Unterschenkel und trägt beim Radfahren eine spezielle Prothese, die mit einem 3-D-Drucker gemacht wurde. Denise Schindler ist behindert, seit sie als Zweijährige bei Eis und Schnee unter eine Straßenbahn gekommen und schwer verletzt worden war. Im SZ-Gespräch schildert sie ihre Leidenschaft für den Radsport und wie sie Inklusion erlebt.

SZ: Was machen Sie gerade nach den anstrengenden Tagen von Rio?

Denise Schindler: Ich bin im Urlaub in Granada in Spanien. Da bin ich als ein Champion des Jahres von der Deutschen Sporthilfe zu einer Woche Entspannen zusammen mit nichtbehinderten Medaillengewinnern eingeladen worden. Ich ruhe mich hier im Robinson-Club aus und lasse das Rad in der Ecke stehen.

Sind Sie mit zwei Wochen Abstand zu den Paralympics mit Silber und Bronze zufrieden?

Ja, in jedem Fall. Im Straßenrennen hätte ich gerne Gold geholt, das wäre toll gewesen, aber auch eine Medaille muss man erst mal schaffen. Das waren erfolgreiche Spiele für mich, das motiviert mich für die Zukunft.

Das 3000 Meter-Zeitfahren auf der Bahn verlief sehr unglücklich ...

Ja, das stimmt. Da bin ich disqualifiziert worden, weil ich angeblich zu sehr im Windschatten meiner Konkurrentin gefahren sei. Meine Zeit aus dem Training hätte locker für das Finale der besten zwei Fahrerinnen gereicht.

Sie haben erst mit 24 Jahren mit dem Leistungssport angefangen. Spät aber nicht zu spät?

Das es so spät war, war gut. Ich wollte es dann definitiv. Mein Antrieb war meine Leidenschaft fürs Radfahren gewesen. Das Radfahren habe ich auch erst mit 18 Jahren begonnen.

Warum Radfahren und keine andere Sportart?

Wegen meiner Behinderung kam kein Laufen oder Springen in Frage. Das wäre unmöglich gewesen, weil das Sprunggelenk meines anderen Fußes auch stark beeinträchtigt ist. Radsport ist wunderbar. Ich sehe so viel von der Welt, wenn ich auf Mallorca, in Südafrika, auf den Kanaren trainiere oder in St. Moritz im Höhentrainingslager bin, wie vor Rio geschehen. Das sind Highlights für mich.

Wie verlief für Sie das Leben als Kind und Jugendliche?

Ich wurde, bis ich 13 Jahre alt war, ein- bis zwei Mal pro Jahr operiert. Das war in der Uniklinik in Regensburg. Dort hat mir sehr geholfen, dass das Sprunggelenk meines anderen Fußes wieder zu einem gewissen Grad funktionsfähig wurde und ich mich ohne Rollstuhl bewegen konnte. Im Schulsport habe ich viele negative Erfahrungen gemacht. Der Unterricht wurde so gestaltet, dass ich kaum teilnehmen konnte. Von Inklusion war da nichts zu merken. Ich wurde bei Mannschaftsspielen immer als Letzte in die Gruppe gewählt. Einmal war meine Gruppe zahlenmäßig größer als die andere, die sich dann beim Sportlehrer beschwerte. Der sagte dann lapidar: Aber die andere Gruppe ist ja auch behindert.

Sport hat ihnen lange Zeit keinen Spaß gemacht.

Ja, so war das. Erst später im Fitnessstudio habe Sport erst als etwas Positives entdeckt. Da bin ich auf den feststehenden Spinningrädern gefahren. Das war mein Einstieg in den Sport.

Sie haben eine eigene Website und eine PR-Agentur. Betreiben Sie ihren Sport profimäßig?

Ich muss meinen Sport profimäßig betreiben, sonst gewinne ich da höchstens nur einen goldenen Blumentopf. Wir Behindertensportler bekommen wenig Förderung. Da muss man alles versuchen, sich selber gut aufzustellen. Zwei Jahre vor den jeweiligen Paralympics bekomme ich eine Top-Team-Förderung, wenn man eine Medaillenkandidatin ist. Dafür hat der Deutsche Behindersportverband (DBS) mit der Telekom und der Allianz zwei Sponsoren gewonnen. Danach sitzt man dann wieder auf der Straße. 2015 bin ich Weltmeisterin geworden. Da gab es einen Blumenstrauß und die Medaille - das war's. Eine Geldprämie gab es nicht.

Was machen Sie im Hauptberuf?

Ich arbeite für einen Media-Online-Vermarkter in München. Der hat mich vor den Paralympics freigestellt und mir ein Minimumgehalt weiter gezahlt. Damit war ich weiterhin sozial- und krankenversichert. Das war super von meinem Arbeitgeber. Ich hatte keine finanziellen Sorgen und der Kopf frei war für meinen Sport.

Wo fehlt es bei der Förderung des Behindertensports in Deutschland?

Es fehlt an einer grundsätzlichen Förderung, damit man abgesichert ist. Also, dass ich meine Wohnung bezahlen kann und ein Grundgehalt habe. Radfahren ist eine trainingsintensive und kostspielige Sportart. Die Trainingslager kosten viel und meine drei Wettkampfräder auch. Jedes einzelne kostet allein über 10 000 Euro.

Ist die Förderung in anderen Ländern besser?

In Spanien gibt es Geldprämien, die auf Leistung basieren. In Großbritannien gibt es auch für Behindertensportler eine herausragende Förderung, was sich im Medaillenspiegel in Rio wieder ausdrückte. Dort sind die besten Sportler Vollprofis. Sie bekommen eine Wohnung, ein Gehalt und Trainingsexperten zur Seite gestellt, so dass sie sich voll und ganz auf ihren Sport konzentrieren können.

In Rio hat sich kein namhafter deutscher Politiker sehen lassen. Hat Sie das gestört?

Es war ein Staatssekretär aus dem Innenministerium da, aber sonst niemand. Das war schon enttäuschend. Wir Sportler würden schon gerne spüren, dass sich Politiker und auch Wirtschaftsunternehmen für uns einsetzen. Es darf da nicht nur Lippenbekenntnisse geben, auch Taten müssen folgen.

Auf der Hannover-Messe dieses Jahres haben Sie Bundeskanzlerin Merkel und US-Präsident Obama eine Prothese aus dem 3-D-Drucker vorgestellt. Wie war dieses Erlebnis?

Das war eine Ehre für mich und eine tolle Chance, das Projekt bekannt zu machen. Mit Laserscanning wird der Stumpf von Amputierten digital vermessen, modelliert und anschließend mit 3-D-Druck die Prothese produziert. Für mich als Radsportlerin hat diese Prothese große aerodynamische Vorteile. Sie produziert nur ganz wenige Luftverwirbelungen im Gegensatz zu einer mit Schrauben, Ecken und Kanten.

Sie sind erst 30. Geht ihre Radsportkarriere weiter?

Ja, das geht weiter. Ich will auf jeden Fall hungrig bleiben. Man muss wirklich für seine Sache brennen, und das tue ich. Für 2017 habe ich mir auch eine Trans-Alp-Tour vorgenommen.

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