SZ-Serie "Inklusion", Folge 12:Höhenunterschiede und Aufzugsprobleme

Die meisten öffentlichen Gebäude und Bahnhöfe, Arztpraxen und Apotheken sowie viele Geschäfte im Landkreis sind barrierefrei. Aber es gibt auch Ausnahmen, wie etwa den Sitzungssaal des Brucker Rathauses sowie drei Bahnhöfe

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Der Sitzungssaal des Brucker Stadtrates ist für Martina Lampl schwer zugänglich. Die Vorsitzende des Behindertenbeirates ist gehbehindert. Sie müsste Treppen steigen oder den Aufzug im Bürgerzentrum benutzen und sich im ersten Stock durch den verschachtelten Komplex bewegen, um zum Eingang des Saales zu gelangen. Dort führen jedoch wieder Stufen hinunter aufs Parkett und auch die Zuschauertribüne hat Treppen. Alle Bordsteinkanten, Treppen, Stufen und Schwellen stellen für Menschen im Rollstuhl, aber auch mit Rollatoren oder Kinderwagen Hürden da, die manchmal unüberwindlich sind. "Schon zwei Zentimeter sind ein Hindernis, wenn man nicht so kräftig ist", sagt Axel Petzka, der Vorsitzende des Gröbenzeller Arbeitskreises "Leben ohne Barrieren". Barrierefreiheit ist darum ein wichtiges Thema. Es gibt umfangreiche Vorschriften, Leitfäden und Kataloge mit Normen für Straßen und Wege, Häuser und Wohnungen, Flure und Treppen, Bodenbeläge, Geländer, Rampenläufe und Podeste, visuelle und akustische Hinweise, für öffentliche Gebäude und privaten Wohnungsbau. Betroffen sind in erster Linie Behinderte, ältere Menschen, Familien mit kleinen Kindern oder auch Reisende mit schwerem Gepäck.

Mehr als 20 Prozent der Bevölkerung sind zumindest zeitweise auf eine barrierefreie Umgebung angewiesen, stellte die bayerische Sozialministerin Emilia Müller (CSU) fest. Letztlich kommen Verbesserungen aber allen zugute. Es geht um mehr Komfort und Lebensqualität für alle Menschen in jedem Alter. Dabei hat sich einiges getan, aber es gibt noch viel zu tun. Eine Umfrage in Landkreis-Kommunen ergibt ein ziemlich differenziertes Bild. Ein großes Problem sind in vielen Gemeinden die Bordsteine, so etwa in Olching in der Hauptstraße. Dazu gebe es viele "Stolperstellen", hochstehende Platten, Stufen und Schachtabdeckungen, berichtet Michael Kircher. Der Vorsitzende des Behindertenbeirates verweist darauf, dass auch die Gehsteige selbst für Ältere und Gehbehinderte schwer zu meistern sind, wenn sie eine gewisse Neigung haben. Von Herbst bis Frühjahr hat der Beirat in Olching eine Umfrage veranstaltet. Er hat 3000 Flugblätter verteilt, rund 300 Rückmeldungen bekommen, ausgewertet und eine Mängelliste erstellt, die nun Bürgermeister Andreas Magg vorliegt.

Bahnhof Buchenau

Der Zugang zum Bahnhof Buchenau soll verbessert werden.

(Foto: Günther Reger)

In Grafrath hat die Gemeinde einen jährlichen Posten von 10 000 Euro eingeplant, um Straßenkanten absenken zu lassen, berichtet Ingrid Wild (SPD), die Zweite Bürgermeisterin. Die Gemeinde fängt vor der eigenen Haustüre an. Der große Vorplatz vor dem vergleichsweise neuen Rathaus ist gepflastert. Das ist schön anzusehen aber beschwerlich. Nun wird eine ebene Bahn ohne Pflastersteine angelegt.

In Puchheim haben Behinderten- und Seniorenbeirat vor drei Jahren eine Broschüre "Wegweiser barrierefreies Puchheim" veröffentlicht. Mehr als die Hälfte aller Geschäfte und Gastronomien sind demnach barrierefrei sowie fast alle Apotheken und Ärzte. Auch die meisten öffentlichen Einrichtungen sind gut erreichbar. Ausnahmen sind die Bibliothek und das Rathaus, dessen Vordereingang nur über eine steile Rampe erreichbar ist. Die Beiräte richten ihr Augenmerk auf die geplanten Neu- und Umbauten im Ortszentrum, dort soll die Bücherei ein neues Zuhause bekommen und das Rathaus wird umgebaut. In Germering werde das Thema von der Stadt groß geschrieben, die Arztpraxen seien gut erreichbar, berichtet Beiratsvorsitzender Anton Mader. Seine Brucker und Gröbenzeller Kollegen berichten, dass die meisten Apotheken und Arztpraxen gut zugänglich seien, aber eben nicht alle.

Die Bahnhöfe zwischen Gröbenzell und Mammendorf sind gut erreichbar, ebenso die Stationen in Eichenau oder Germering. Dagegen gibt es in Buchenau, Grafrath und Puchheim Mittelbahnsteige ohne Rampen und Aufzüge. Buchenau und Puchheim sollen in den kommenden Jahren umgebaut werden, allerdings sind die Beiräte in beiden Fällen nicht zufrieden. In Fürstenfeldbruck hat sich sogar ein Aktionsbündnis gegründet, das gegen die Pläne protestiert. Bis Mitte September werden Unterschriften für eine Petition an den Landkreis gesammelt. Beiräte und Bahn AG haben unterschiedliche Kriterien. Für das "Unternehmen Zukunft" reicht ein Aufzug oder eine flache Rampe, um die Barrierefreiheit zu gewährleisten. Ist der Bahnsteig mit 76 Zentimetern zu niedrig für die Türen der S-Bahn mit 96 Zentimetern, kann der Lokführer eine mobile Rampe auslegen, um die Differenz zu überbrücken. In Buchenau und Puchheim sollen die alten Mittelbahnsteige jeweils über Aufzüge erschlossen werden. Das ist den Beiräten zu unsicher, weil Lifte immer wieder ausfallen. Der Puchheimer Beirat favorisierte deshalb einen neuen Außenbahnsteig mit Rampe, konnte sich aber nicht durchsetzen, die Brucker haben den Kampf gerade aufgenommen.

SZ-Serie "Inklusion", Folge 12: In Grafrath wird vor der Sparkasse eine Verbesserung überlegt.

In Grafrath wird vor der Sparkasse eine Verbesserung überlegt.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

"Sinnvoll ist die Doppellösung: Eine lange Rampe für den Notfall, wenn der Aufzug defekt ist", sagt Lampl. Von der mobilen Rampe hält sie wenig. Die sei zu steil, das Gefälle nur mit einem oder gar zwei Begleitern zu bewältigen. Außerdem hätten Lokführer doch dafür gar nicht die Zeit, der Fahrplan würde durcheinander kommen. Das Aktionsbündnis schlägt vor, den Bahnhof von drei- auf vier Gleise auszubauen. Dann könnte man Regional-, Fern- und S-Bahnverkehr entflechten. Die S-Bahnen würden an den zwei Außenbahnsteigen halten, die bequem über Rampen erreichbar wären. Lampl plädiert dafür, sich zusammenzusetzen und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. "Wenn neu gebaut und viel Geld ausgegeben wird, sollte das für die Zukunft sein und die nächsten 50 Jahre halten", sagt sie. Wenigstens einer der beiden Bahnhöfe im Stadtgebiete sollte gut und sicher zu erreichen sein. Am Bahnhof Fürstenfeldbruck gibt es nur einen Aufzug, der auf den Bahnsteig führt, ebenso wie in Gröbenzell fehlen Rampen.

Der Germeringer Beirat ist mit der Situation an der Haltestelle Harthaus unzufrieden. Mader beklagt, dass der Zugang vom Parkplatz im Nordosten "zu weitläufig" sei. Die Rampe auf der anderen Seite, sei mit über sechs Prozent zu steil. Die Kritik der Fahrgäste sei bekannt, man sei mit der Stadtverwaltung im Gespräch, ob und wie die Anlage nachträglich noch verändert werden kann, sagte ein Sprecher der Bahn. Er erinnerte daran, dass die Station Harthaus erst 2013 für rund 3,8 Millionen Euro barrierefrei ausgebaut wurde. Sie verfüge seitdem über 96 Zentimeter hohe Bahnsteige und Blindenleitstreifen. Die Umbaupläne seien von der Stadt Germering frei gegeben worden, betonte er.

Puchheim: PUC - Vorstellung Stadtzentrumsentwicklung

Auch der Zugang zur Stadtbibliothek ist verbesserungsbedürftig.

(Foto: Johannes Simon)

Grafrath wiederum gehört zu den elf Stationen im Münchner S-Bahnnetz, die selbst nach den Maßstäben der Bahn AG nicht barrierefrei sind. Der Seniorenbeirat kämpft seit Jahren für eine Verbesserung. "Mit Rollatoren, geschweige denn Rollstühlen, kommt man nicht auf den Mittelbahnsteig. Die Grafrather fahren nach Schöngeising, wenn sie mit der S-Bahn fahren wollen", sagt der Vorsitzende Josef Wild. Auch die Beleuchtung der Unterführung, von der aus die Treppen zum Bahnsteig führen, sei miserabel.

Der Bahnhof Grafrath ist in keinem aktuellen Ausbauprogramm enthalten, weil es sich um eine der Stationen mit den niedrigsten Fahrgastzahlen handelt, sagt der Sprecher der Bahn. Der Freistaat wolle aber im Herbst noch solche Stationen benennen, die im Rahmen des "Bayernpakets ab 2020" barrierefrei ausgebaut werden sollen. Ob Grafrath dabei sein werde, könne man noch nicht sagen.

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