SZ-Adventskalender:Unmöglicher Umzug

Mehrmals hat der Vermieter von Klaus Müller versucht, ihn aus der Wohnung zu bekommen. Nun muss er trotz Gehbehinderung endgültig ausziehen

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Leben im Alter, 2016

Würdig in der eigenen Wohnung zu leben, ist für viele Senioren mit geringer Rente oder Grundsicherung eine wahre Herausforderung.

(Foto: Catherina Hess)

Das Leben von Klaus Müller wird begleitet von schwersten Schmerzen. Vor einigen Tagen, so erzählt er, ist er im Treppenhaus zusammengebrochen, die Beine haben einfach versagt. Eine zufällig vorbeikommende Nachbarin sei einfach über ihn hinweggestiegen und weitergegangen. Irgendwann konnte er dann wieder aufstehen und die restlichen Stufen in seine Dachgeschosswohnung steigen. Dort, in seinem kleinen Reich, ist alles penibel aufgeräumt, kein Staubkorn ist zu sehen, alles ist an seinem Platz. Auf dem Wohnzimmertisch steht eine Schale mit frischen Äpfeln und Orangen, daneben liegt ein Kopfhörer. Nur eines passt Müller, der seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen will, nicht: Das alte, gut gepflegte Sofa ist kaputt, die Federn der einen Seite sind gebrochen. Deshalb möchte der Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung den 72-Jährigen nun bei der Anschaffung eines neuen Sofas unterstützen.

Doch wo das stehen wird, ist derzeit noch völlig unklar. Denn nach langen Streitereien hat ihm der Vermieter eine Kündigung geschickt. Diesmal mit der Begründung "Eigenbedarf" für ein Familienmitglied. Viermal, sagt er, habe man es vorher versucht, immer habe er gewonnen. Nun aber ist die Gültigkeit gerichtlich bestätigt. Aufgegeben hat Müller allerdings noch nicht. Ein ärztliches Gutachten bestätige, dass es ihm aktuell wegen der Schmerzen durch die Gehbehinderung und anderer Beschwerden nicht möglich sei, umzuziehen. "Da hieß es dann, ich könne ja auch im Krankenwagen umziehen", sagt der 72-Jährige. Nun muss erneut das Gericht entscheiden.

Müller ist kein einfacher Mensch, das weiß er selbst. Allerdings gehe es ihm nur darum, dass alles korrekt läuft. Wenn etwa die Heizung in der Küche kaputt ist und er den Vermieter mehrmals darauf hinweist, der aber nicht reagiert, dann ist irgendwann der Punkt gekommen, an dem es dem Rentner reicht. Dann spricht er deutliche Worte, droht damit, einfach eine Firma zu beauftragen und die Rechnung an den Vermieter schicken zu lassen. Oder wenn der Boden kaputt ist, die Heizung nachts im ganzen Haus nicht funktioniert, oder die Handwerker in einer der Wohnungen bis in die Nacht mit lauten Bohrern renovieren.

Die Streitereien gehen auch Müller auf die Nerven und an die Gesundheit. Genau wie die vier Stockwerke, die er sich regelmäßig hoch und runter quälen muss. "Ich würde ja sogar ausziehen. Wenn ich denn etwas anderes finden würde." Da er allerdings von einer kleinen Rente lebt, kann er sich keine teurere Wohnung leisten, der Markt der günstigen Unterkünfte ist bekanntlich klein.

Dabei hat der 72-Jährige stets hart gearbeitet. Nach der Zeit bei der Bundeswehr hat er sich als Baggerfahrer selbständig gemacht. "Ich habe für große Firmen gearbeitet, es gab eine Zeit, da kam richtig viel Geld rein". Aber dann wurde die Auftragslage beim Mutterkonzern schlechter, viele Subunternehmer wurden entlassen. Müller hat es danach noch einmal bei einer anderen Firma probiert, aber auch da war die Lage nicht rosig, vereinbarte Honorare wurden nicht gezahlt. "Das ging natürlich nicht, ich musste ja meine Maschinen abbezahlen, die Wartung, Steuern, Benzin". Dann kamen die Krankheiten, das Berufs-Aus. "Wenn ich gesund wäre, würde ich sofort wieder arbeiten. Es ist ganz furchtbar, nichts machen zu können und immer nur irgendwie den Tag rumbringen zu müssen".

Sogar über eine ehrenamtliche Tätigkeit habe er nachgedacht, damit er überhaupt eine Beschäftigung hat. Aber mit seinen Krankheiten habe er nichts gefunden. "Ich habe es überall versucht, aber keine Chance", bekräftigt er. Aktuell allerdings sind die Schmerzen so stark, die Arztbesuche so häufig und die Sorgen vor der Obdachlosigkeit so groß, dass er vorerst von diesem Plan abgelassen hat. Wenn es irgendwann aber wieder ruhiger wird in seinem Leben, dann - soviel scheint sicher zu sein- wird er den nächsten Anlauf wagen.

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