St. Ottilien:"Da bin ich gehimmelt und geerdet"

Erzabt Öxler

Seit drei Jahren leitet Erzabt Wolfgang Öxler das Kloster der Missionsbenediktioner in St. Ottilien.

(Foto: Günther Reger)

Der Erzabt von St. Ottilien, Wolfgang Öxler, sieht die Fastenzeit als Chance, sich wieder auf sein Leben zu besinnen. Die Kirche habe dazu Angebote, sagt er, aber die könne sie nicht vermarkten

Interview von Erich C. Setzwein, St. Ottilien

Ginge es nur nach der Regel des heiligen Benedikt, müsste jeder Mönch sein ganzes Leben wie zur Fastenzeit leben. Also ein Leben lang verzichten? Mitnichten, meint Erzabt Wolfgang Öxler, der das Kloster St. Ottilien seit drei Jahren führt. Der mittlerweile 58-Jährige ist 1979 dem Orden beigetreten und war bis auf seine Zeit als Prior im Kloster Jakobsberg (2008-2012) immer in St. Ottilien. Was in der Fastenzeit alles möglich ist und welche Tipps er für die Zeit bis Ostern auf Lager hat, das erzählt Erzabt Wolfgang im Gespräch mit der SZ.

SZ: Worauf könnten Sie persönlich in der Fastenzeit gar nicht verzichten?

Erzabt Wolfgang (überrascht): Da bin ich momentan echt überfragt (lacht).

SZ: Dann stelle ich die Frage später noch einmal. Aber ganz generell: Auf was verzichten Mönche während der Fastenzeit?

Es nimmt sich jeder selbst etwas vor. Ich habe am Aschermittwoch eine Fastenkonferenz für die Mönche abgehalten, bei der ich darum gebeten habe, dass jeder für sich aufschreibt, auf was er verzichten möchte. Aber es geht nicht um Verzicht. Der heilige Benedikt schreibt, dass man während der Fastenzeit der normalen Pflicht etwas hinzufügen solle.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel, dass sich ein Mönch mehr um die Kranken kümmert als sonst oder mehr meditiert. Man sollte sich auch bewusst mehr Zeit für etwas Kreatives nehmen. Mich stört oft, dass die Fastenzeit nur im Zusammenhang mit Verzicht gesehen wird. Ich sehe die Zeit als Gewinn an, weil sich neue Räume erschließen. Ich habe mir vorgenommen, dass ich wieder mehr Gitarre spiele, wozu ich im Alltag sonst nicht komme. Fastenzeit kann auch eine Grenzerfahrung sein, also was brauche ich eigentlich und was ist Ballast.

Geht es darum, Zeit zurückzugewinnen?

Wenn ich die Zeit zurückgewinne, bleibt immer noch die Frage, wie ich mit der Zeit dann umgehe und sie gestalte. Ich glaube, dass in unserer Gesellschaft viele mit ihrer Zeit nichts anfangen können. Wenn man Freizeit hat, kommt man wieder in einen Konsumzwang, was man alles in der Freizeit machen muss. Es gibt Menschen, die es in dieser Zeit nicht mit sich selbst auskommen. So wie Karl Valentin sagt: Heut' besuch' i mi, hoffentlich bin i daheim.

Ist also eine Fasten-Agenda nötig?

Ich habe als Thema in der Fastenkonferenz das Auto-Navi genommen. Am Anfang sagt die Stimme im Navi "Die Verbindung wird aufgebaut". Das ist für mich auch ein Bild für den Glauben. In der Fastenzeit muss ich vielleicht die Verbindung neu aufbauen. Jeder Mensch hat innere Antreiber, wie etwa "Sei stark, sei perfekt, reiss' Dich zusammen, mach's jedem recht. Das bringt Unruhe. Die Fastenzeit gibt jedem die Chance, das zu überprüfen. Um beim Bild zu bleiben: Mal vom Highway seiner Gewohnheiten runterzufahren. Einfach durchzurauschen, nur irgendwo schnell anzukommen? Auch mal die Nebenstraßen entdecken.

Das passiert doch nur, wenn das Navi einen Stau meldet.

Da heißt es dann: Die Route wird neu aufgebaut. Das ist doch auch ein Bild fürs Leben. Es gibt Krisen, sei es in Beziehungen, sei es Arbeitslosigkeit, sei es Midlife crisis oder wenn man was verbockt hat, dann muss man seine Route völlig neu berechnen.

Bei Ihnen im Kloster gibt es bestimmte festgelegte Abläufe. Ändern Sie diese Routine während der Fastenzeit und welche Tipps können Sie nach draußen vermitteln?

Die Routine ist ja nichts schlechtes. Beim heiligen Benedikt heißt das Rhythmus. Viele Menschen haben ihren Rhythmus verloren, und wenn ich da an die Menschen was weitergeben möchte, dann sage ich, findet euren Rhythmus wieder. Keine Band kann gut spielen, wenn sie keinen sauberen Rhythmus hat. Und was macht ein Rhythmus? In der Notation die Pause. Ohne Pause also kein Rhythmus. Benedikt regelt so den Tag, indem er sagt, Du brauchst einen gesunden Rhythmus und also auch Pausen.

Dem Tag eine Struktur geben und sich Zeit nehmen, innehalten.

Ja, genau. Pausen müssen sein. Es gilt auch, das richtige Maß zu finden. Auch bei Diäten.

Bedeutet die Fastenzeit dann auch eine Leidenszeit?

Nein! Wie gesagt, Benedikt sagt, ich soll der Pflicht etwas hinzufügen. Da spüre ich auch meine Grenzen. Manche Menschen belügen sich doch, wenn sie behaupten, sie hielten es in der Fastenzeit ohne Alkohol, zum Beispiel, gut aus. Aber nach zwei Tagen werden sie dann schon unruhig. Es ist wichtig, die Grenzen auszuloten. Das bedeutet aber auch Disziplin.

Wie verbringen Sie die Fastenzeit?

Ich füge dem Chorgebet eine Meditation hinzu. Ich habe für mich eine kleine Meditationsecke, da kann ich meditieren. Aber ich setze mich nicht unter Druck. Wenn es fünf Minuten sind, sind es fünf Minuten, aber es ist auch eine halbe Stunde möglich. Ich nehme mir die Zeit, die ich jeweils dafür brauche.

Wie wird das Thema Fastenzeit an ihrer Schule, am Rhabanus-Maurus-Gymnasium, behandelt?

Darum kümmert sich unser Schulseelsorger, Pater Theophil. Wenn nächste Woche die Schule nach den Ferien wieder beginnt, dann werden die Klassen Wortgottesdienste haben, wo sie dieses Thema erfahren. Auch sind Aktionen vorgesehen, bei denen die Schüler bedürftige Menschen unterstützen. Im Tagesheim wird das Thema auch angesprochen, da können klassenübergreifende Aktionen stattfinden, wie etwa eine Ausstellung zum Thema Fasten.

Auf der weltlichen Seite des Fastens geht nichts ohne Werbung, zuerst für Diäten, dann fürs Starkbier als Fastenspeise. Auf der religiösen Seite sieht es anders aus. Warum macht die Kirche bei Ihrem ureigensten Thema Fastenzeit gar keine Reklame?

Wir hätten da viel mehr Potenzial. Ich finde, wir haben sehr viele Schätze, und die Kirche für ihre Schätze keine gute Werbung. Es kann aber auch sein, dass sie es nicht schafft, es rüberzubringen. Sie denkt vielleicht, das sei ein alter Hut. Nehmen Sie nur die Beichte, die ich Feier der Versöhnung nenne. In der Fastenzeit könnten die Menschen mal wieder Ordnung schaffen in ihrem Leben. Dieses Angebot machen wir. Es gibt wieder viele Menschen, die gerade samstags und sonntags zur Beichte, zum Gespräch kommen. Es wird gut angenommen, nicht nur zur Fastenzeit übrigens. Da gibt es natürlich Menschen, die traditionell beichten, aber es kommen immer mehr, die wieder eine Orientierung suchen.

Heißt das, Sie würden das Seelsorgerische wieder mehr in den Vordergrund rücken?

Es gibt so etwas wie eine Abfalldeponie in den Seelen mit allem, was die Menschen so mit sich herumtragen. Und da eine Erleichterung anzubieten, dafür könnte die Kirche mehr tun. Ich beschreibe es so: Wenn ich die Fenster der Seele putzen möchte, benötige ich ein Reinigungsmittel, mit dem ich die Schichten, die sich angesammelt haben, wegbekomme. Dafür würde sich die Kirche anbieten, aber wir können es nicht vermarkten.

Um zum Anfang zurückzukommen, auf was könnten Sie in der Fastenzeit auf keinen Fall verzichten?

Das Gebet ist für mich wichtig, darauf würde ich nicht verzichten wollen. Aber es gibt noch eins: das Treffen mit Freunden, die Beziehungen pflege. Das ist mir auch sehr wichtig, das würde ich ungern auslassen. Das gilt es zu intensivieren, zu schauen, wer die wirklichen Freunde sind. Wo man hingehen könnte, wenn man es schwer hätte. Wenn man Beziehungen nicht mehr pflegt, gehen sie verloren. Es geht darum, den Anschluss nicht zu verlieren. Mein Wahlspruch ist "gottesvoll und den Menschen nah", das bedingt sich gegenseitig. Wenn ich den Menschen nah bin, dann komme ich auch Gott näher. Da bin ich gehimmelt und geerdet.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: