Serie: Älter werden - alt sein:Gegen das Alleinsein

Das Projekt Wohnen für Hilfe hat Maria Gröbl und Julia Husaruk zusammengebracht

Von Julia Bergmann

Fünfeinhalb Jahre ist es her, dass Maria Gröbls Mann ins Pflegeheim gezogen ist. Plötzlich war es ganz still in dem Haus in Puchheim, das früher einmal der Lebensmittelpunkt ihrer Familie war. "Ich hatte Angst so ganz allein in dem großen Haus", sagt 79-Jährige. Jedes unbekannte Geräusch, jedes Knacksen im Garten, jeder unerwartet vorbeihuschende Schatten war plötzlich verdächtig. "Auch meine Kinder haben sich Sorgen gemacht", sagt Gröbl. Von Hamburg und Berlin aus, wo sie leben. Und so war nicht nur Maria Gröbl erleichtert, als sie durch einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung von einem Projekt erfuhr, das wie für sie gemacht zu sein schien: Wohnen für Hilfe.

Seit einigen Monaten gibt es das Projekt nun im Landkreis Fürstenfeldbruck. Die Idee dahinter: Junge Menschen ziehen bei Senioren ein. Statt Miete für den Wohnraum zu zahlen, unterstützen sie die Älteren im Alltag, helfen etwa beim Rasenmähen, gehen mit dem Hund Gassi oder beim Kochen zur Hand. Eine Stunde Hilfe pro Quadratmeter Wohnfläche im Monat lautet der Richtwert des Projekts. Im Landratsamt vermittelt Verena Bauer die Wohnpartnerschaften zwischen Jungen, meist Studenten oder Auszubildende, und Senioren. Mittlerweile sind im Landkreis drei solche Wohnpartnerschaften entstanden. Eine davon ist die von Maria Gröbl und Julia Husaruk.

Keine 14 Tage nachdem sich Maria Gröbl bei Verena Bauer gemeldet hatte, hatte diese schon die richtige "Mieterin" gefunden. Seit fast zwei Monaten lebt die 20 Jahre alte Ukrainerin Julia Husaruk nun bei Gröbl. Schon beim ersten Treffen, waren sie sich auf Anhieb sympathisch. "Wir haben uns gesehen, in die Augen geschaut und gelacht", erzählt Gröbl. "Wir haben uns gleich verstanden", pflichtet Husaruk bei.

Dass es zwischen den beiden Frauen gleich gepasst hat, war kein Zufall. Im Vorfeld hat Verena Bauer Kennenlern-Gespräche geführt, Fragebögen, Erwartungen und Ansprüche verglichen. Denn das alles wird im Vorfeld einer Wohnpartnerschaft im Rahmen von Wohnen für Hilfe abgefragt und geprüft. Gehen die Erwartungen der Studenten und Senioren zu stark auseinander, ist das Zusammenleben von vornherein zum Scheitern verurteilt. Auch die Wohnräume der Senioren werden vorab besichtigt, um zu sehen, ob sie für eine Vermittlung geeignet sind. "Das zur Verfügung gestellte Zimmer sollte zum Beispiel kein kleiner, dunkler Kellerraum ohne Fenster sein", sagt Bauer. Schließlich soll sich auch der Wohnraumsuchende in seiner künftigen Bleibe wohlfühlen können. Um sicherzustellen, dass die Vereinbarung auch auf lange Sicht klappt, werden die Wohnpartnerschaften auch nach der Vermittlung durch Bauer begleitet. Alle paar Monate meldet sie sich auch bei Maria Gröbl und Julia Husaruk, um beide getrennt voneinander zu fragen, wie das Miteinander läuft.

Wohnen für Hilfe

Schönes Zuhause: Die Mithilfe in Haus und Garten gehört zu den Pflichten von Julia Husaruk (rechts). Dafür gewährt ihr Maria Gröbl kostenlos ein Dach über dem Kopf.

(Foto: Günther Reger)

"Bis jetzt ist alles gut gelaufen", versichert Gröbl. Hätten die beiden festgestellt, dass das Zusammenleben nicht reibungsfrei klappt, hätten sie das Projekt immer noch während der vier Wochen dauernden Probezeit beenden können, sagt Gröbl. Beide Frauen lachen bei dem Gedanken. Wie es bisher gelaufen ist, damit sind sie sehr zufrieden. Nur eines hat der Seniorin nicht gefallen: "der sechsseitige Vertrag". Zu viel Bürokratie für die unkomplizierte Puchheimerin. Andererseits gibt der Vertrag beiden Seiten Sicherheit.

Geregelt wird darin etwa die Kündigungsfrist, welche Art von Hilfe man von dem neuen Mitbewohner erwartet, wie viele Stunden pro Woche er helfen soll. Es wird aber auch festgehalten, welche Art von Hilfe auf keinen Fall geleistet werden kann. Auch das sei wichtig, erklärt Bauer. Die Studenten oder Azubis, die sich auf das Projekt einlassen, können etwa grundsätzlich keine klassischen Pflegearbeiten übernehmen. Auch aus Erfahrungen von Vermittlungsstellen in anderen Städten weiß Bauer, dass es durchaus vorkommt, dass Senioren derlei Erwartungen hegen. "Dafür ist das Projekt nicht gemacht", sagt Bauer. Glücklicherweise geht es für viele der älteren Menschen, die sich für das Projekt entscheiden, aber hauptsächlich um etwas anderes. "Das Gefühl, dass noch jemand im Haus ist, ist oft wichtiger als klassische Hilfeleistung", sagt sie.

Das findet auch Maria Gröbl. Und deswegen sieht sie es auch nicht ganz so eng, wenn die vereinbarten Hilfsleistungen nicht immer auf die Minute genau geleistet wurden. "Die ersten eineinhalb Stunden haben wir abgearbeitet, indem ich Julia zum Essen eingeladen habe. Wir mussten uns ja erst einmal kennenlernen", sagt sie. Für Husaruk sind die vereinbarten 2,5 Stunden Hilfe pro Woche gut mit ihrer kürzlich begonnenen Ausbildung vereinbar. "Außerdem habe ich ja das ganze Wochenende frei", sagt die Ukrainerin, die bereits vor einigen Jahren als Au-Pair-Mädchen nach Deutschland gekommen ist und danach ein Freiwilliges Soziales Jahr eingelegt hat. Für sie war klar, dass sie auch für ihre Ausbildung in Deutschland bleiben möchte. Und auch die Entscheidung für Wohnen für Hilfe fiel schnell. "Ein Bekannter von mir macht das auch", erzählt sie. Er hat ihr empfohlen, es ebenfalls zu versuchen. Auch wenn für die Auszubildende zunächst vor allem der finanzielle Aspekt im Vordergrund stand, das Zusammenleben mit einer älteren Frau, schätzt sie sehr. "Es gefällt mir. Ich lerne viel Neues und erfahre viel", sagt sie.

Die Regeln

Das Projekt Wohnen für Hilfe richtet sich an Senioren und junge Menschen, die miteinander eine Wohnpartnerschaft eingehen möchten. Beide Seiten profitieren davon. Während die jungen Menschen günstigen Wohnraum bekommen, werden die Senioren mit kleinen Hilfsleistungen im Alltag von ihnen unterstützt. Koordiniert wird diese Art der Wohnpartnerschaft im Landkreis von der Vermittlungsstelle Wohnen für Hilfe im Landratsamt Fürstenfeldbruck.

Das Projekt ist grundsätzlich für viele Menschen geeignet, es gibt allerdings auch Grenzen. Menschen mit Pflegebedarf können durch das Projekt nicht unterstützt werden. Auch als Unterbringungsmöglichkeit für junge Asylbewerber ist Wohnen für Hilfe nicht geeignet. Wer sich für die Teilnahme am Projekt entscheidet, sollte grundsätzlich eine gewisse Offenheit mitbringen und Neuem gegenüber aufgeschlossen sein, finden Maria Gröbl und Julia Husaruk. "Eine sehr konservative und sehr dominante Person wird Schwierigkeiten haben, sich mit dem Projekt zu arrangieren", meint Gröbl.

Für das Projekt gelten außerdem gewisse Rahmenbedingungen, etwa was die bereit gestellte Wohnfläche angeht. So entspricht ein Quadratmeter Wohnfläche einer Stunde Hilfeleistung im Monat. In der Regel werden die Nebenkosten in Form einer monatlichen Pauschale abgegolten. Sämtlichen individuellen Abmachungen werden in einem Vertrag zwischen Wohnraumgeber und Wohnraumnehmer festgehalten.

Interessierte können sich beim zuständigen Regionalmanagement im Landratsamt melden. Kontaktmöglichkeiten: Telefon unter 08141/519-5632 oder E-Mail unter wohnen-fuer-hilfe@lra-ffb.de. BERJ

Das Zusammenleben nimmt auch Gröbl als Bereicherung wahr. "Sie hat ihre eigene Meinung und das finde ich super", sagt sie über ihre junge Mitbewohnerin. Es ergäben sich viele anregende Diskussionen. Nur manchmal frage sie sich, ob es Husaruk mit ihr nicht langweilig wird. "Ich habe ihr gleich gesagt, sie kann auch mal hier feiern oder Freunde einladen", sagt sie. Gröbls Haus ist jetzt immerhin auch Husaruks Zuhause. Und da sei es auch selbstverständlich, wenn man sich gegenseitig unter die Arme greift.

Kürzlich erst, hat die Seniorin Julia Husaruk Tipps für die Suche nach einem kleinen Nebenjob gegeben. Den will die Ukrainerin finden, um sich Reisen in Europa finanzieren zu können. "Ich habe jetzt noch ein Visum und ich will auch die Welt sehen", sagt Husaruk mit einem Funkeln in den Augen. "Daran arbeiten wir jetzt", sagt Gröbl ganz entschlossen. Ihre neue Mitbewohnerin darin zu unterstützen, ist für die 79-Jährige, die ebenfalls eine Leidenschaft für ferne Länder und Kulturen hegt, selbstverständlich. Ein bisschen vielleicht, weil Husaruk sie an ihre drei Enkelkinder erinnert, die alle in einem ähnlichen Alter sind. Eine der Enkeltöchter und deren Mutter hat Husaruk mittlerweile auch kennengelernt, Shopping-Ausflug inklusive. "Meine Tochter war ganz froh", sagt Gröbl. Sie muss sich jetzt keine Sorgen mehr machen, ihre Mutter ist nicht mehr alleine.

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