Schöngeising:Was heute das Handy ist, war früher der Gehstock

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Beim "Oarwoagln" im Jahr 2018 basteln die Besucher Osternester aus Weidenzweigen (Foto: Voxbrunner Carmen)

Bei "Kinder führen Kinder" auf dem Jexhof lernen Buben und Mädchen viel über eine Bauersfamilie und ihre Statussymbole

Von Stefan Salger, Schöngeising

Der siebenjährige Tim macht große Augen. Wie bitte? Geschwister haben sich das Bett zu teilen, und die x-mal geflickten Schuhe der Eltern werden von den Kindern aufgetragen? Zu allem Überfluss müssen sich Kinder ihre Spielsachen auch noch selbst basteln, den Ball also zum Beispiel aus einem mit Stroh gefüllten, zusammengeknoteten Leintuch? Gottlob ist das alles nur eine Zeitreise am Sonntag im Bauernhofmuseum Jexhof. Verena Schwägerl, 15, Neuntklässlerin des Brucker Viscardi-Gymnasiums, leitet eine der beiden Gruppen bei "Kinder führen Kinder" durch das alte Bauernhaus. Ihre eigene Kindheit ist noch nicht gar so lange her - sie weiß, was Jungs und Mädchen spannend finden.

Große Augen machen die etwas älteren: Im 18. oder 19. Jahrhundert gab es handfestere Statussymbole: Was heute das Handy ist, war damals der reich verzierte Gehstock. Die zwölf Kinder lernen, dass der 1775 von der Familie Schneider gebaute Jexhof ein Dreiseithof ist und sich nur vermögende Bauern einen Vierseithof leisten konnten. Und sie erfahren, dass alles seit 1987 ein Museum ist. Noch spannender ist es freilich, die Küche, die Stube, die Schlaf- und Kinderzimmer und den Stall zu inspizieren. Bis ins Jahr 1980 war der Hof bewohnt, zuletzt von der einstigen Dienstmagd Resi Geiger, die seit 1930 für die Bauersfamilie Riedl gearbeitet hatte. Die Riedls lebten bereits in dritter Generation auf dem Jexhof, seit 1862 Josef und Kreszenz Riedl das Anwesen zusammen mit 88 Tagwerk Grund erworben hatten. Unter 88 Tagwerk kann sich kein Mensch und erst recht kein Kind etwas vorstellen. Unter Fußballfeld schon eher. Deshalb übersetzt Verena das eben in "42 Fußballfelder".

In der Küche gucken alle in diesen riesigen Topf. Für die ganze Familie und die Bediensteten kochte damals die Bäuerin auf dem holzbefeuerten Herd, Extrawünsche gab es nicht. Verderbliche Lebensmittel wie Milch, Käse, Fisch oder Fleisch wurden im Keller aufbewahrt, der im Winter mit Eisblöcken ausgestattet wurde. Puh. Ganz schön umständlich. Und dass Fleisch nur an Festtagen auf den Tisch kam, klingt für viele der Buben und Mädchen auch reichlich abenteuerlich.

Nicht alle Kinder durften damals zur Schule gehen, das klingt zunächst wiederum gar nicht so schlecht. Aber dass im Gegenzug von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gearbeitet wurde? Dann doch lieber Schule! Nach den langen Arbeitstagen strickten und häkelten die Frauen oft. Und die Männer? Was die wohl am Feierabend machten, will Verena wissen. Ein Mädchen schnalzt mit dem Finger: "Trinken." Nun ja, wohl auch, darüber hinaus wurde aber vor allem geschnitzt oder Karten gespielt.

Ein bisschen gekichert wird beim Anblick dieses seltsamen Stuhls, der da unter dem Heiligenbild steht. Unter einem Deckel findet sich eine Emailleschüssel - na bitte: der Vorläufer der heutigen Toilette. Damals gab es kein fließendes Wasser. Die Schwengelpumpe in der Küche war fast schon Luxus. Das große Holzgefäß auf dem einstigen Heuboden entpuppt sich übrigens nicht als "Badewanne", wie ein Bub vermutet, sondern als Brühtrog, wie man ihn früher beim Schlachten benutzte.

Alma, 10, aus Gröbenzell, hat die Führung richtig gut gefallen. Mit einer Zeitmaschine zur Dienstmagd oder den Riedls zurückreisen möchte sie dann aber doch lieber nicht. Zwar bastelt sie sich auch manchmal eigene Spielsachen und die Geschwister geben gut erhaltene Schuhe schon mal weiter. Aber Alma ist schon irgendwie froh, dass sie ein eigenes Bett hat und es daheim eine Heizung gibt.

Eine Heizung brauchen die etwa 800 Besucher nicht, die am Wochenende den Jexhof besucht haben. Viele nutzten bei frühlingshaften Temperaturen die Gelegenheit, unter Anleitung des Museumshandwerkers Heinrich Widmann mit Ästen, Palmkätzchen und Scheiben aus Weide oder Esche Osternester herzustellen - alles mit Hilfe muskelbetriebener Werkzeugen wie anno dazumal.

© SZ vom 03.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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