Schöngeising:Schamkapsel und Ringelhaube

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Edelmann mit Gattin und Landsknecht: Eine typische Renaissance-Kleidung macht den Auftakt der historischen Modenschau. (Foto: Günther Reger)

Ein historische Modenschau führt dem Publikum auf dem Jexhof den Kleidungsstil vergangener Jahrhunderte vor Augen. Das Spektrum reicht vom prunkvollen Rokoko-Gewand bis zum steifen Gehrock der Biedermeierzeit

Von Valentina Finger, Schöngeising

Wer sich mit den möglichen Geburtsstunden der Mode beschäftigt, stößt mitunter auf die Kleidungsgewohnheiten der Landsknechte. Jene umherziehenden Söldner schlitzten ihre Kleider nach Belieben auf, so dass der Futterstoff darunter zum Vorschein kam, polsterten ihren Hosenlatz zur Schamkapsel und setzten Trends, weil sie in ihrer Erscheinung den Kleiderordnungen des 15. und 16. Jahrhunderts widersprachen. Ein Edelmann, wie ein Vogt etwa, hätte seinen Sohn wohl niemals so herumlaufen lassen.

Doch Reiner Mischko sieht das locker. Im tannengrünen Mantel mit Pelzsaum und mit einer schweren Silberkette über der Brust steht er neben seiner ebenfalls gebührend gewandeten Vogtsgattin Helga bei ihrem Sohn Michael, der als bunt gekleideter Landsknecht aus dem Rahmen fällt. Modeadel und Subkultur - jene Ausprägungen typischer Renaissance-Kleidung eröffnen die historische Modenschau am Jexhof. Im Rahmen der Feierlichkeiten zum 30-jährigen Bestehen des Bauernhofmuseums und passend zur Ausstellung "Kleider machen Leute" sind Verkleidungsprofis aus ganz Bayern gekommen, um begleitet von dem Musikduo "Klangzeit" einige zentrale Kostümepochen auf der Bühne wieder aufleben zu lassen.

Reenactment nennt man die Nachstellung historischer Begebenheiten, wozu mittlerweile weltweit Festivals veranstaltet werden. Familie Mischko aus Buchloe ist durch das Fechten darauf gekommen. Alle Waffen, die Vater und Sohn am Körper tragen, sind fechtbar und entsprechend schwer. Weil er in einem echten Kampf eingesetzt werden kann, hat der Stahlharnisch für das Landsknechtkostüm 250 Euro gekostet. Was sie nicht dazukaufen, macht Reiner Mischko selbst. So hat erden Umhang seines Sohnes oder die Kopfbedeckung seiner Frau eigenhändig genäht.

Auch bei Michael und Marion Lang aus Neuching hat nicht die Frau die Nähnadel in der Hand. Die prunkvollen Rokoko-Gewänder, wovon beide noch weitere im Schrank haben, fertigt Freiherr Carl Ludwig von Poellnitz, wie sich Michael Lang nach einem Vorfahren seiner Mutter nennt, selbst. Er tritt in Justaucorps und Kniebundhosen auf, sie in einer seidenen Robe à la Française. 2005 war das Paar zum ersten Mal auf einer Reenactment-Veranstaltung. "Als die Kinder groß waren, wollten wir wieder tanzen gehen - aber auf richtigen Bällen, was in der heutigen Zeit nicht mehr so einfach ist", sagt Michael Lang. Mittlerweile nehmen die beiden nicht nur regelmäßig an solchen Events teil, sondern organisieren sie sogar selbst.

Weg vom französischen Hof, der die Mode des 18. Jahrhunderts prägte, zurück nach München: Patricia Lehner, Hannelore und Stephan Woywod tragen das Münchner Bürgergewand der Biedermeierzeit. Die Frauenkostüme orientieren sich an dem Kleid, in dem Joseph Karl Stieler die Münchnerin Helene Sedlmayr für die Schönheitsgalerie König Ludwigs I. in Schloss Nymphenburg porträtierte. Stephan Woywod trägt zum Gehrock Zylinder, die Frauen Riegelhauben. Patricia Lehners ist mehr als 150 Jahre alt, Hannelore Woywods ist selbstgemacht. Hinter den aufwendigen Stickereien, die dennoch nicht an das Original heranreichen, stecken rund 400 Stunden Arbeit. Ganz nah am Brucker Umland sind schließlich Eva Wittmann, Otto und Kathi Ahamer. Sie tragen die traditionelle Dachauer Tracht, die mit der später etablierten alpenländischen Tracht kaum etwas gemeinsam hat. Details sind bei diesen Gewändern entscheidend: Zu den aufgebauschten Dirndln gehören mitunter bestickte Strümpfe und Filigran-Schmuck; zu Vatersrock und langen Lederhosen Faltenstiefel und Haselnussstecken. Die Silberknöpfe und -ketten an Otto Bahamer Gewand stammen noch aus der Zeit um 1870. "Unsere Tracht wurde immer wieder als unförmig beschimpft. Aber wir tragen sie noch heute mit Stolz", sagt Eva Wittmann.

Angekommen im 20. Jahrhundert führen junge Leute aus der Umgebung Moden wie Frack, Petticoat oder das Charleston-Kleid vor. Jexhof-Leiter Reinhard Jakob ist im Sherlock-Holmes-Stil mit Knickerbockern und -Mütze mit dabei. Als zum Finale alle ihren Oktoberfest-Look präsentieren, sind neben Jeans und Glitzerkleid auch Cowboystiefel zum Dirndl vertreten. "Das trägt man doch so nicht", raunt eine Zuschauerin. Ganz ähnlich dürfte der Renaissance-Adel die Aufmachung der Landsknechte kommentiert haben. Und dennoch zeigten sich die feinen Herrschaften damals bald selbst modisch mit Schlitzmode und Schamkapsel.

© SZ vom 05.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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