Schöngeising:Mann und Frau

Schöngeising: Lesung JULIUS KREIS - im Bürgerhaus

Spitzkrägen, Perlenketten, runde Hüte: Mitglieder des Kulturvereins Schöngeising stellen die Alltagsgeschichten von Julius Kreis dem Publikum vor.

(Foto: Johannes Simon)

Der Münchner Grafiker und Autor Julius Kreis hat den Alltag in den Goldenen Zwanzigern beschrieben. Die szenische Lesung des Kulturvereins Schöngeising macht deutlich: Das Verhältnis der Geschlechter hat sich seitdem kaum verändert

Von Valentina Finger, Schöngeising

Wem der Name Julius Kreis nichts sagt, der ist nicht unbedingt ein Literaturbanause. Obschon die Texte des Münchner Schriftstellers, der 1933 im Alter von 41 Jahren starb, sowohl in zeitlicher als auch stilistischer Nähe zu den Arbeiten bekannter Autoren wie Ludwig Thoma stehen, gehört sein Werk heute nicht mehr zum literarischen Allgemeinwissen. Schade eigentlich, muss sich der Kulturverein Schöngeising (Kusch) gedacht haben und hat den "Münchner Alltagsgeschichten" von Julius Kreis eine szenische Lesung im Schöngeisinger Bürgerhaus gewidmet.

Die Idee zum Kreis-Abend stammte von Kusch-Mitglied Jupp Peters, der die Lesung am Klavier begleitet. Ausgewählt haben die Texte Eva Gauck und Wolfgang Stahl, der nicht nur selbst auf der Bühne steht, sondern auch Regie führte. Die Buchstaben von Julius Kreis und Jupp Peters' Noten werden durch die zugehörigen Illustrationen komplementiert. Viele seiner Geschichten hat der studierte Grafiker Kreis selbst bebildert. Eine Auswahl der liebenswerten Zeichnungen gibt es im Bürgerhaus schon im Foyer und später auch auf die Bühne projiziert zu sehen. Jene gestrichelten Fräuleins mit üppigem Federkopfschmuck und Kavaliere mit Zylinder oder Melone sind die Gesichter der Goldenen Zwanzigerjahre, von denen Kreis in seinen Anekdoten erzählt.

Dazu passen auch die sechs Frauen und Männer des Schöngeisinger Kulturvereins, die die Texte auf die Bühne bringen: Spitzenkrägen, Perlenketten und runde Hüte - ein bisschen die Stimme zu verstellen, reicht schließlich nicht für etwas, das sich szenische Lesung nennt. Es sind die kleinen Momente des Alltags, die Julius Kreis in Textform festgehalten hat. Das Schöne daran ist vor allem: Mögen auch etwa 90 Jahre vergangen sein, seit Kreis unter anderem das kuriose Mit- und Gegeneinander von Mann und Frau beobachtet hat, es hat sich bis heute im Grunde gar nicht so viel verändert.

Wie kompliziert es sein kann, 30 Personen zu einer sommerlichen "Floßfahrt auf der Isar" zusammen zu bekommen, dürfte gerade die jüngere Generation an die schier endlosen Whatsapp-Dialoge - ein Chatprogramm für das Smartphone - erinnern, die es braucht, um eine Verabredung fest zu machen. Während Wolfgang Stahl liest, sitzen die anderen mit seligem Blick auf ihrem Bierbankfloß. Bei "Der Frühjahrsradi" wird Stahl mit Rudi Stüllein selbst zum Darsteller, und Meggi Weber schildert den Viktualienmarkt zu einer Zeit, in der ein frischer Rettich noch ein Luxusartikel war.

Das Spielchen der Ehefrau in "Das Gansviertel", die ihrem Mann aus Sorge um dessen hungrigen Magen nach und nach auch ihren Teil des Abendessens zuschiebt, ist an heutigen Esstischen nicht unbekannt. Auch das banale Gezanke eines Ehepaars im Schlosspark Nymphenburg, das Kreis in "Algen und Quallen" beschreibt, kennt man nur zu gut aus vielen elterlichen oder großelterlichen Wohnzimmern. Zahlreiche mitfühlend nickende Männerköpfe bekommt Rudi Stüllein schließlich in "Ordnung": Nicht nur das kreative Chaos - selbstverständlich gehört der Pfeifenputzer in die Blumenvase -, sondern sogar der eigene Selbstmord als Flucht aus der Ordnungssucht der Hausfrau wird durch dieselbe verhindert, weil sie noch ein bisschen abstauben wollte. Besonders charmant und nicht weniger bissig schildert Kreis die Situation in einem Münchner Kaffeehaus. Evelyn Wetzler liest in "Kaffee-Gebäck" von verschiedenen Gebäcktypen und den Eigenarten ihrer Besteller. So sei das Hörndl etwas für ernste, bescheidene Männer, während nur Hochstapler nach der sahnigen Torte verlangen. Da so viele von Kreis' Beobachtungen zutreffen, sollte man beim nächsten Cafébesuch in München vielleicht auch einmal darauf achten.

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