Rezension:Der Tod als Erlösung

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Das Thalia Theater liefert mit "Jeder stirbt für sich allein" ein enttäuschendes Gastspiel in Fürstenfeld.

Von Florian J. Haamann

Nur durch einen fatalen Zufall gerät Enno Kluge (Daniel Lommatzsch, links) ins Visier von Gestapo-Kommissar Escherich (André Szymanski). (Foto: Johannes Simon)

Ein Roman ist ein Roman und eine Theaterinszenierung ist eine Theaterinszenierung. Zwei ganz unterschiedliche Welten, die nur schwer zusammen zu bringen sind - selten genug funktioniert dieses Wagnis. Dass selbst große Regisseure mit einem herausragenden - vielleicht sogar dem aktuell besten deutschsprachigen - Ensemble an dieser Aufgabe scheitern können, bewies Luk Perceval eindrucksvoll mit der Fallada-Adaption "Jeder stirbt für sich allein" beim Gastspiel des Hamburger Thalia-Theaters im Veranstaltungsforum. Eine gewisse Schuld trifft dabei auch seine Dramaturgin Christina Bellingen, die es nicht schaffte, dem Stück eine klare Struktur zu geben und damit eine Geschichte zu erzählen. Warum das Stück zur Inszenierung des Jahres 2013 gewählt und mit dem Faust Theaterpreis ausgezeichnet wurde blieb, zumindest an diesem Abend, also rätselhaft.

Viereinhalb Stunden mussten die Besucher, zumindest jene, die bis zum Ende durchhielten, zusehen, wie sich die Schauspieler auf der Bühne teils regelrecht quälten bei dem Versuch, Falladas Welt voller Tragik, Leid und Ausweglosigkeit zu übersetzen. Dazu kommt, dass sie es nicht alle und dann auch erst im zweiten und dritten Teil des Abends schafften, in ihre Rollen hinein zu finden. Immer wieder wirkte das Spiel statisch, die Texte eher auswendig gelernt, als gefühlt und gespielt. Dass diese Probleme nur auf die erschwerten Bedingungen im Stadtsaal, wie etwa die schwierige Akustik, zurückzuführen sind, ist eher unwahrscheinlich, auch wenn zu spüren war, wie die wirklich hervorragend sprechenden Schauspieler Mühe hatten, den ganzen Raum zu erreichen.

Ganz stark spielten die Schauspieler immer dann auf, wenn sie ihre Dialoge nicht durch vorgetragene Romanpassagen unterbrechen mussten, sondern einfach mal ein paar Minuten miteinander agieren durften. So in der Szene, in der Taugenichts Enno Kluge (Daniel Lommatzsch) vom Gestapo-Kommissar Escherich (André Szymanski) in den Selbstmord getrieben wird. Erschütternd, wie er im Angesicht des Todes nur davor Angst hat, in den See zu fallen, weil er sich schon immer vor dem Wasser fürchtet. Ähnlich das Verhör von Otto Quangel (Thomas Niehaus), der vom unpolitischen Weichei zum unerschütterlichen Regimegegner wird, der überall in der Stadt Postkarten verteilt, auf denen er gegen Führer und Krieg agitiert. Kurz vor seiner Verhaftung sagt er zu seiner Frau Anna (Oda Thormeyer): "Gefahr ist immer, sonst ist es doch kein Kampf". Es ist das Pathos des kleinen Mannes, das Fazit eines Helden, der sich mit dem Regime arrangieren wollte und es doch irgendwann nicht mehr konnte. "Ich liebe doch so sehr das Gleichmaß des Lebens. Das Gleichmaß der Arbeit", erklärt er gleich zu Beginn. Selbst angesichts von Gestapofolter bleibt er dann stark, ist stolz auf die 18 von seinen 285 Schriften, die nicht der Polizei übergeben wurden. "18 Stück. Das ist die Arbeit von zwei Jahren."

Er und seine Frau sind die einzigen, die sich in der Inszenierung entwickeln dürfen. Ansonsten schafften es Perceval und Bellingen nicht, sich auf wichtige Handlungsstränge zu konzentrieren und die Entwicklungen der Charaktere herauszuarbeiten, um den Zuschauern damit den Fatalismus von Falladas Figuren und die Tragik der Kleinbürger in einem totalitären System mit voller Wucht entgegen zu schleudern. Statt dessen verlieren sie sich darin, möglichst viele Szenen zu zeigen, die nichts Neues erzählen, dafür aber ständig die Spannung aus dem Stück nehmen.

Etwa das Intermezzo von Enno Kluge mit der reichen Witwe und Tierhändlerin Hete Häberle (Gabriela Maria Schmeide), in dem in epischer Breite noch einmal gezeigt wird, was schon nach Ennos erstem Auftritt klar ist: Er ist faul, unzuverlässig, nicht in der Lage, etwas für andere zu fühlen und intellektuell eher limitiert. Am Ende dieser Episode wird er an die Gestapo verraten, so will es die Romanvorlage. Der Dramaturgie des Abends allerdings hätte es gut getan, den Verrat anders zu verarbeiten und den Rest einfach zu streichen. Und so zieht sich auch die Schlussszene, bei der die Quangels hingerichtet werden und ihre Schwiegertochter Suizid begeht so sehr in die Länge, dass jegliche Intensität auf der Strecke bleibt und der Tod nicht mehr als grausamer Höhepunkt einer verkommenden Gesellschaft, sondern nur noch als Erlösung für alle empfunden werden kann.

© SZ vom 21.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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