Religion:Mehr als eine Glaubensfrage

Die katholischen und evangelischen Kirchen im Landkreis wollen das Glockenläuten als Teil der Tradition beibehalten. Gleichwohl signalisieren ihre Repräsentanten Verständnis für lärmgeplagte Nachbarn

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Noch bis Anfang des vergangenen Jahrhunderts wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, sich über das Läuten der Kirchenglocken zu beschweren. Es war der Ruf zum Gebet oder zum Gottesdienst, kündete von Hochzeiten oder Todesfällen. Wenn es brannte, wurden die Glocken geläutet, um alle Helfer herbeizurufen. Und wer auf dem Feld arbeitete, der wusste immer auf die Viertelstunde genau, wie spät es ist. Die Zeiten haben sich geändert, die Menschen sind kritischer geworden und fühlen sich häufiger durch den Glockenschlag belästigt. Ist das Läuten also noch zeitgemäß? Hat nicht längst jeder eine Uhr und kann sich vom Smartphone bei Bedarf die Minuten bis zum nächsten Gottesdienst herunterzählen lassen? Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche warnen davor, die Tradition dem Zeitgeist zu opfern. Sie sehen im Läuten weit mehr als ein bloßes akustisches Signal.

Filialkirche Bergkirchen, 2010

Glasklarer Klang: Eine Glocke in der Kirche Mariä Himmelfahrt in Bergkirchen bei Jesenwang.

(Foto: Johannes Simon)

Befeuert wurde die Debatte durch den Streit ums Angelusläuten von Sankt Bernhard in Fürstenfeldbruck. Die Pfarrei kam Anwohnern entgegen, die sich vor allem an Wochenenden um den Schlaf gebracht fühlten. Wohl mindestens ein Jahr, bis zur abgeschlossenen Turmsanierung, wird aufs Läuten um 7 oder 8 Uhr morgens verzichtet. Prompt meldeten sich die Befürworter einer harten Linie zu Wort und warfen dem Pfarrer vor, eingeknickt zu sein.

Der Fall ist bis zur Erzdiözese in München vorgedrungen. "Wie man's macht ist es verkehrt", sagt Sprecherin Gudrun Lux. Sie macht gleichwohl deutlich, dass die 1963 leicht aktualisierte "Diözesan-Läuteordnung" den Pfarrern durchaus Spielraum lässt und diese aufkeimende Konflikte im Dialog regeln können. Festgelegt ist lediglich, dass etwa an Sonn- und Feiertagen nicht vor 7 Uhr geläutet werden soll und vor Gottesdiensten, die zwischen 7 und 9 Uhr beginnen, "tunlichst nur einmal zu läuten" ist. Dieses einmalige Läuten darf sich aber über mehrere Minuten erstrecken. Das Läuten strukturiert Lux zufolge den Tag, auch wenn die Abfolge "Läuten - Beten - Mittagessen" sich mit der modernen Arbeitswelt kaum noch vereinbaren lässt. Als "Ruf zum Gebet" oder als Teil der Eucharistiefeier haben Glocken - ob im Kirchturm oder in kleinerer Form in der Hand der Ministranten - nach Einschätzung von Gudrun Lux weiterhin einen hohen Stellenwert. Gerichte haben immer wieder bestätigt, dass die Kirchen nicht auf das sakrale Läuten morgens, mittags und abends verzichten müssen und Nachbarn dies ebenso hinzunehmen haben wie das Läuten um 5 Uhr zum Gloria in der Osternacht.

Friedenskirche

Im Sommer 2007 nutzen viele Eichenauer nach dem Gottesdienst die Gelegenheit, die drei neuen Glocken der evangelischen Friedenskirche zu besichtigen.

(Foto: Günther Reger)

Mit Paragrafen freilich erobert man nicht die Herzen der Menschen. Und deshalb empfiehlt Wolfgang Huber, 56, Leiter des Pfarrverbands Mammendorf, auf Kritiker zuzugehen und auch einmal Kompromisse zu schließen. Huber betreut auch die Pfarreien Adelshofen-Nassenhausen, Grunertshofen-Luttenwang und Jesenwang. In allen Kirchen wird morgens, mittags und abends geläutet und - anders als in der Brucker Sankt-Bernhards-Kirche - auch noch viertelstündlich. Im kleinen Grunersthofen beschwerte sich einmal ein Anwohner über die Glocken. "Das habe ich gut verstanden", so Huber, "früher wurde da auch extrem lange geläutet." Er habe dem Mann empfohlen, sich an den Pfarrgemeinderat zu wenden, schließlich sei das alles "nicht festgezimmert in alle Ewigkeit". Offenbar habe sich der Mann aber dann doch mit dem Läuten abgefunden und sich nicht mehr gemeldet. Huber empfiehlt nachdrücklich, das Glockenläuten als "relativ wichtigen" Bestandteil der Tradition fortzuführen. Wo es Glocken gebe, sollten diese auch weiter benutzt werden, zumal in der Regel die Glocken da waren, bevor die Menschen geboren wurden oder herzogen.

Nicht von "Muss", aber von "Soll" spricht auch Stefan Reimers, 51, evangelischer Dekan aus Fürstenfeldbruck und designierter Personalchef der bayerischen evangelischen Landeskirche. Die Kirchengemeinden seien relativ frei in ihren Entscheidungen. Doch auch er sagt: Wo es einen Glockenturm gibt - und das ist bei den oft erst in den Siebziger- oder Achtzigerjahren gebauten evangelischen Kirchen ohnehin nicht so oft der Fall - da soll er auch genutzt werden, um den Glauben in die Öffentlichkeit zu bringen. "Für mich persönlich ist das Läuten heutzutage sogar wichtiger geworden. Es gibt dem Tag mit Klang und Melodie einen Rhythmus, es kann eine Einladung für ein kurzes Gebet sein oder dafür, den Tag bewusst zu erleben und die Zeit als Geschenk wahrzunehmen." Reimers wohnt gleich neben der Erlöserkirche, die über einen Turm verfügt, in dem die Glocken täglich von 7, 12 und 20 Uhr an länger schlagen und zudem mit dem Stundenschlag jede Viertelstunde die Zeit angezeigt wird. Die Menschen sind kritischer geworden - Beschwerden wegen der Glocken sind Reimers bislang aber nicht zu Ohren gekommen. "Für mich gehört Glockenläuten zur Tradition, die uns verbindet. Das sollten wir selbstbewusst klarmachen." Manchmal bedarf es keiner Überzeugung: Der Dekan denkt zurück an seine Zeit in der Germeringer Dietrich-Bonhoeffer-Kirche. Deren Glocke muss vor Gottesdiensten von Hand geläutet werden. Bei Tauffeiern durften das Kinder übernehmen - mit leuchtenden Augen und klopfendem Herz. Für sie sei das etwas ganz Besonderes gewesen, so Stefan Reimers.

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