Puchheim:Von der Einöde zur Vorstadt-Stadt

VHS-Gespräche Puchheim

Erinnern sich an die Anfänge von Puchheim: (von links) Anton Fürst, Erich Hage, Erna Schweigler und Franz Hany.

(Foto: Günther Reger)

Wo einst Kühe aus Aubing weideten und Müll aus München verrottete, steht heute Puchheim

Es ist noch nicht lange her, da war Puchheim-Bahnhof eine Einöde. Das Gelände südlich der Bahnlinie glich einer Wüstenei, dort hatte die Hausmüllfabrik jahrzehntelang ihre Reste deponiert. Auf der Nordseite ließen die Teilhaber der Aubinger Weidegenossenschaft im Sommer ihr Vieh weiden. Das übrige alte Moorgelände samt den ersten Häusern stand häufig unter Wasser. So schilderten Franz Hany und Anton Fürst die Zustände um 1960 im heutigen Zentrum der Stadt. Zusammen mit der langjährigen Gemeinderätin Erna Schweigler traten die beiden als Zeitzeugen in der Reihe "Erinnern - nicht vergessen" der Volkshochschule am Donnerstag im Bürgertreff auf. Die Moderation übernahm Erich Hage, der Leiter der Volkshochschule.

Die Weidegenossenschaft war das Produkt einer Arisierung. Der Kaufmann Josef Bäuml aus München hatte zwischen 1905 und 1907 die Fischzucht "Gröben" zwischen Puchheim und Gröbenzell erworben. Daneben baute er ein Wohnhaus mit Stall und Eiskeller und kaufte 1912 den Gröbenthalerhof dazu. Weil er kinderlos war, vermachte er den Besitz seinen zwei Nichten, die in Prag lebten, berichtete Fürst. Dazu kam es aber nicht. Denn Bäuml war jüdischer Herkunft, die Behörden griffen ein. Sie nahmen der Familie den Besitz ab und drückten den Preis weit unter Wert. Zunächst wollte Alois Harbeck, der Eigentümer der Hausmüllfabrik, den Grund erwerben, aber der Aubinger NS-Bürgermeister Gottfried Trepte grätschte dazwischen. Sein Ortsbauernführer fuhr nach Berlin und fädelte eine andere Lösung ein, erzählte Fürst.

Das riesige Grundstück sollten Bauern als Ausgleichsfläche für Grundabtretungen beim Bau der Reichsautobahn nach Augsburg bekommen. Bäumls Besitz ging über den Spar- und Darlehenskassenverein Aubing an eine Weidegenossenschaft. Deren 30 Teilhaber nutzten fortan ein etwa 43 Hektar großes Gelände. Fürsts Vater besaß Anteile, er selber hat als Junge im Frühjahr noch die Kühe dorthin getrieben und im Herbst wieder abgeholt. Das Herrenhaus samt Parkanlage und etwa acht Hektar ging an Trepte, zugleich Vorsitzender der Genossenschaft. Später zog Trepte nach Puchheim, mischte in der Kommunalpolitik mit und unterlag 1970 als FDP-Bürgermeisterkandidat gegen Erich Pürkner von der CSU.

Die Erben Bäumls versuchten nach dem Krieg, ihr Eigentum zurückzubekommen, mussten sich aber auf einen Vergleich einlassen, berichtete Fürst. In den Sechzigerjahren wurde die Weidegenossenschaft aufgelöst und der Grund verkauft. 1964 wurde das letzte Mal auf den Wiesen Heu gemacht, erinnerte sich Fürst. Dort entstanden das Gewerbegebiet Nord, Bauhof und Feuerwehr sowie die Wohnhäuser am Mühlstetter Graben.

Auf der Südseite der Bahn bei Harbeck übernahm Franz Hany 1963 die Verwaltung des Gutshofes. Die Hausmüllfabrik hatte 1949 ihren Betrieb eingestellt. Auf dem Gut wurden nun 70 Stück Milchvieh gehalten, aber das sei auf den schlechten Böden schwierig gewesen. "Die Planie war eine Wüste, bei Wind stiegen riesige Staubwolken auf", erzählte Hany. Er ließ Alleen und Hecken pflanzen, um die Erosion zu bremsen. Gleichzeitig litten Landwirtschaft und Siedler bis zur Anlage der Kanalisation immer noch unter Überschwemmungen aufgrund des hohen Grundwasserstands im Moor.

Harbeck hatte damals ein sehr schlechtes Image in Puchheim, berichtete Hany. Das hatte zwei Gründe. Zum einen hatten die Leute den Gestank und die Brände auf der Hausmülldeponie nicht vergessen. Zum anderen waren die Fabrikanlagen von der Firma Reinhold und Mahla übernommen worden, die dort Isolierplatten produzierte. So blieben Arbeitsplätze erhalten, aber bevor Styropor verwendet wurde, fertigte man diese Platten aus Kork und Teer an. "Das stank schlimmer als Müll", erinnert sich Hany. Als Schweröl den Teer ersetzte, musste man einen hohen Kamin bauen, was aber wenig half.

Unter Hanys Regie wurde die Gutswirtschaft auf Bullenmast umgestellt, eine Kartoffelschnapsbrennerei kam dazu. Ein Teil der Planie wurde schließlich Bauland. Hany berichtete, dass Harbeck der Gemeinde das Grundstück für ein neues Rathaus schenkte, im Gegenzug wurde ein Teil seines Grundbesitzes, insgesamt 25 Hektar, als Baugebiet ausgewiesen. Wo die Häuser errichtet werden sollten, musste der Boden ausgetauscht werden, weil der Untergrund zu weich gewesen wäre. Etwa 220 000 Kubikmeter wurden ausgegraben und durch Kiesschichten ersetzt.

Das schnelle Wachstum der Gemeinde erforderte, dass die Infrastruktur ausgebaut werden musste. Erna Schweigler und ihr Mann gehörten 1963 zu den Zugezogenen. Der Pfarrer spannte beide sofort ein, ihn für das katholische Bildungswerk, aus dem später das ökumenische Puchheimer Podium hervorgehen sollte, sie im Kindergartenverein, der 1969 gegründet wurde. Schweigler, von 1984 bis 2002 für die CSU im Gemeinderat, berichtete, wie die Gemeinde in rascher Folge Kindergärten, Schulen und das Sportzentrum errichtete. Dabei musste man dem Kultusministerium immer wieder Personal abringen. "Sie als Eltern müssen Druck machen, denn das sind Wählerstimmen, auf mich als Verwaltungsmann hört keiner", habe ihr der Schulrektor geraten.

Anfang der Siebzigerjahre organisierten Eltern sogar einen Schülerstreik. Die Behörde in München gab nach und stellte eine Lehrerin aus Österreich ein. Die Grundschule befand sich damals in den Räumen des Bürgertreffs, dort wo am Donnerstag die Veranstaltung stattfand, zu der mehr als 60 Zuhörer gekommen waren. Dabei zeigte sich, dass die CSU ein rundes Jubiläum verpasst hat, während die SPD in diesem Jahr den 70. Geburtstag ihres Puchheimer Ortsvereins feierte. Hany erzählte, wie er in der JU aktiv war und es vor 50 Jahren schaffte, einen Ortsverband der Mutterpartei zu gründen. Bei der Kommunalwahl 1966 zogen erstmals zwei CSU-Vertreter, darunter Hany, in den Gemeinderat ein.

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