Puchheim:Neuanfang mit Perspektiven

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Im Puchheimer Gewerbegebiet entsteht auf einer Fläche von 3000 Quadratmetern in einer Industriehalle eine Flüchtlingsunterkunft, die als richtungsweisend gilt. Der Stadtrat ist beeindruckt

Von Gerhard Eisenkolb, Puchheim

Von den Aufregungen am Münchner Hauptbahnhof und den Sorgen über die wachsende Zahl der Flüchtlinge ist am Dienstagabend in Puchheim nichts zu spüren. Als Zweiter Bürgermeister Rainer Zöller (CSU) in der Sitzung des Ferienausschusses des Stadtrats berichtet, dass am Vormittag die beiden Schulturnhallen mit 63 Asylbewerbern belegt waren, passt das nicht zu den Katastrophenmeldungen aus München. In dem Notquartier hätten schließlich bis zu 200 Menschen Platz. Warum gibt es also nur wenige Kilometer vom Hauptbahnhof entfernt noch so viele freie Betten? Da sich auch in der Puchheimer Unterkunft täglich die Zahl der dort nur vorübergehend lebenden Flüchtlinge täglich ändert, ist es offensichtlich gar nicht so einfach, die Übersicht zu behalten. Deshalb wird die Nachricht des Verwaltungsleiters Jens Tönjes schon fast mit Erleichterung aufgenommen, dass am Mittwoch 83 weitere Asylbewerber nach Puchheim geschickt werden sollen - sofern sie denn kommen.

"Schöne Räume, ich bin überrascht." Eine Stadträtin spricht beim Rundgang durch das Asylbewerberquartier aus, was viele denken. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Schließlich weiß man erst, wenn die Ortsfremden am Puchheimer S-Bahnhof angekommen sind und hilflos und radebrechend nach dem Weg zur ihrer Unterkunft fragen, dass es nicht bei der Ankündigung geblieben ist. Dagegen herrscht im Ferienausschuss in einem anderen Punkt Einmütigkeit: Die Flüchtlinge sind relativ gut untergebracht, sie werden von inzwischen 135 ehrenamtlichen Helfern bestens betreut. Die Helfer und die von ihnen betreuten Schützlinge sollen zudem hochzufrieden sein. Das berichtet zumindest Stadträtin Rosemarie Ehm (SPD), die sich mit großer Begeisterung als Asylhelferin engagiert. Das klingt so, als funktioniere in Puchheim die Willkommenskultur nach wie vor. Und so etwas wie einen Puchheimer Weg gibt offensichtlich auch. Man ist bemüht, die aus Krisengebieten Geflohenen gut unterzubringen und zu integrieren. Auch Sitzungsleiter Zöller berichtet aus eigenem Augenschein von einer ruhigen, angenehmen Stimmung in der Flüchtlingsunterkunft - und davon, dass die Asylbewerber in der Stadt Puchheim beste Perspektiven haben.

Davon konnten sich die Stadträte bei einer Ortsbegehung im Gewerbegebiet vor der Sitzung selbst überzeugen. Dort entsteht auf einer Fläche von annähernd 3500 Quadratmetern eine vorbildliche Gemeinschaftsunterkunft, in die spätestens Anfang Oktober 130 Menschen einziehen sollen. Die Asylbewerber, die dort wohnen, sollen nicht nur ein Bett vorfinden, sie sollen sich hier "wohlfühlen", lautet die Devise. Zöllers Hinweis "Hier entsteht etwas Richtungsweisendes" ist durchaus berechtigt. Um das zu ermöglichen, legen sich der Eigentümer einer Mitte der Achtzigerjahre erbauten Halle für die Produktion von Pumpen, die Planer und das Landratsamt richtig ins Zeug. Schon die Dimensionen sind beeindruckend. Seit fünf Monaten wird die dreieinhalb Meter hohe Halle im Erdgeschoss und im zweiten Stock umgebaut. Den gesamten ersten Stock hat der Freistaat seit Längerem für Lagerzwecke gemietet. Auf einer Fläche von insgesamt rund 3000 Quadratmetern wurden 14 500 Quadratmeter Rigipsplatten in Leichtbauweise zu Zwischenwänden verbaut. Dazu benötigten die Arbeiter, die auch an Samstagen tätig sind, alleine sechs Tonnen Spachtelmasse. Zehn Tonnen weitere Spachtelmasse wurden verbraucht, um 3500 Quadratmeter Linoleumboden zu verlegen. Zu den Investitionskosten äußerte sich der Bauherr, der zugleich Bauleiter ist, nicht. Aber es wird vermutet, dass er wohl mehr als zwei Millionen Euro ausgibt.

Was die Besucher noch mehr beeindruckte als die schiere Größe, ist die Liebe zu Details. So entstehe im Erdgeschoss ein eigener Bereich für Menschen mit einer Behinderung. Hier ist alles barrierefrei, vom Eingang über die Zimmer bis zu den Sanitäranlagen und Küchen. Die Raumaufteilung im zweiten Stock besticht durch ein anderes Konzept. Außen liegen unterschiedlich große Wohnräume, mit einem besonderen Bereich für Familien, in dem sich bei Bedarf zwei Zimmer zu einer Einheit verbinden lassen. Für Patienten sind gesonderte Quarantäneräume vorgesehen, die Sozialarbeiter bekommen eigene Büros. Es gibt einen Gebetsraum, ein Zimmer für Wasch- und Trockenmaschinen, einen Raum, in dem Kinder Hausaufgaben machen können sowie Lager- und Schulungsräume, wie sie für den Deutschunterricht benötigt werden. Eine Durchgangstüre der größten der drei Küchen führt zu einem Spielzimmer für Kinder, von dem aus wiederum einer der drei hundert Quadratmeter großen Terrassen zu erreichen ist. Alle Wohnräume liegen an den Außenwänden und verfügen über große Fenster. Die Gemeinschaftsräume, in denen man sich nur zeitweise aufhält, befinden sich, ebenso wie die großzügig gestalteten Dusch- und WC-Anlagen, im inneren Zentralbereich der ehemaligen Produktionshalle. Flure trennen den Wohnbereich von den Gemeinschaftsräumen. Zwar darf in Gewerbegebieten nicht gewohnt werden, für Flüchtlinge gibt es aber eine Ausnahme. Eigentlich wäre das, was niemand anspricht, auch ein guter Platz für Sozialwohnungen gewesen.

© SZ vom 03.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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