Puchheim:Mehr als nur ein Musikinstrument

Loris Feser

Loris Feser kann an seinem neuen Instrument das, was er gerade spielt, aufnehmen und am Computer weiter bearbeiten.

(Foto: Günther Reger)

Für den 14-jährigen Autisten Loris Feser erfüllt sich ein Lebenstraum. Die Jugendsozialstiftung finanziert ihm ein neues E-Piano

Von Julia Bergmann, Puchheim

Zarte Töne erklingen unter Loris Fesers Fingern. Bald ist das Wohnzimmer seiner Familie erfüllt von einer fragilen, bittersüßen Melodie. Er streift über die Tasten seines neuen elektrischen Pianos, das er mit der Unterstützung der Jugendsozialstiftung vor wenigen Tagen bekommen hat. Loris will nun zeigen, wie es sich auf dem neuen Klavier spielt, wie viel besser es ist, als das alte Instrument, das bereits ordentlich in die Jahre gekommen war. Sein Anschlag ist zunächst so sanft, als bedürfe das Spiel besonderer Vorsicht, bis sich die Intensität der Melodie steigert, und das Stück an Fahrt gewinnt. Loris spielen zu hören, ist ein besonderes Erlebnis. Der 14-Jährige hat das Notenlesen nie gelernt. Was er spielt, improvisiert er und was er improvisiert, klingt abwechslungsreich, fordernd, anspruchsvoll und wunderschön. Loris Feser ist Autist. Wie viele Betroffene hat auch er eine ganz besondere Begabung, ein Metier in dem er herausragend ist: das Klavierspiel.

Loris ist in seine Melodie vertieft, lässt fröhliche Dur-Akkorde ins wehmütige Moll tanzen, setzt zum nächsten crescendo an und dann, ganz plötzlich, bricht er das Spiel ab. Er hält inne. "Haben Sie das gehört? Das war jetzt ein bisschen zu tief", sagt er. Wo Loris einen Fehler bemerkt, nimmt der durchschnittliche Zuhörer Perfektion wahr. Loris aber hat eine ganz bestimmte Vorstellung in seinem Kopf, er will alles richtig machen. Gelingt ihm das nicht, wird er unruhig.

Grundsätzlich braucht Loris feste Strukturen und gewohnte Abläufe. Mit Ungeplantem kommt er nicht gut zurecht. Teilweise nimmt er seine Umwelt als bedrohlich wahr. Das sind Symptome seiner Krankheit. Lediglich beim Klavierspielen kann Loris abschalten: "Er kommt dann zur Ruhe, findet zu sich und spürt sich wider", beschreibt seine Mutter Tine Feser. Als die Familie, Loris, seine jüngere Schwester Nicola und seine Mutter, erfahren haben, dass Loris ein neues Klavier bekommt, war die Freude deshalb riesig. Es ging um mehr als ein Instrument. "Ein so gutes Profiklavier zu bekommen, war die Steigerung von allem", sagt Loris.

Das alte Instrument war bereits in die Jahre gekommen. "Es war für einen so begabten Jungen wie Loris nicht mehr ausreichend" erklärt Bernd Rieder, der Kuratoriumsvorsitzende der Jugendsozialstiftung, die die Familie Feser seit sechs Jahren unterstützt. Rieder hatte die Idee, sich auf der Suche nach einem besseren Klavier an die Süddeutsche Zeitung zu wenden. "Manchmal steht bei älteren Menschen ein Klavier nur noch als Möbelstück im Zimmer", sagte er im April. Seine Hoffnung: Wer ein ungenutztes Stück bei sich Zuhause stehen hatte, könnte sich melden. Und tatsächlich - gleich sieben Leser haben das getan.

Für Rieder begann eine Klavier-Sichtungs-Tour quer durch den Landkreis. Ein mit ihm befreundeter Pianist sollte die Instrumente bespielen und beurteilen, welches für den 14-Jährigen am besten geeignet ist. Am hoffnungsvollsten schien unter den Angeboten ein E-Piano. Allerdings stellte sich beim Probespielen heraus, dass dieses sogar noch älter war als das, das Loris bereits besaß. Unter den verbliebenen sechs akustischen Pianos wäre eines für Loris in Frage gekommen. Richtig zufrieden sei der Pianist aber damit trotzdem nicht gewesen, sagt Rieder. "Er sagte, es wäre wahrscheinlich sinnvoll, wenn Loris wieder ein elektronisches Klavier bekäme", erklärt er.

Nachdem er und sein Freund die Kosten für Transport und regelmäßiges Stimmen über die kommenden fünf Jahre hinweg überschlagen hatten, stand schnell fest, dass der Neukauf eines solchen Instruments finanziell keinen besonders großen Unterschied mehr machen würde. So stellte der Pianist Kontakt zu einem Klavierhaus her und handelte einen Sonderpreis aus. Sowohl der Musiker, als auch der Besitzer des Klavierhauses möchten, dass ihren Namen unerwähnt bleiben.

Loris ist glücklich. Es ist offensichtlich, dass er alles über sein neues Instrument erzählen möchte, dass er sämtliche Funktionen aufzählt und vorführt. Etwa die Aufnahmefunktion, die Möglichkeit die Klänge der Tasten zu variieren, oder Selbstgespieltes mittels USB-Stick auf einen Computer zu übertragen, um es anschließend auf eine CD zu brennen. Seine Dankbarkeit, will der 14-Jährige auch Rieder aussprechen. Er hat ihm einen Brief geschrieben, den Rieder entgegennimmt, um einen Blick darauf zu werfen und dann zu sagen: "Ich kann es gar nicht laut vorlesen, sonst muss ich vor lauter Rührung weinen."

Also liest Loris: "Ich möchte, kann und muss mich bei Ihnen grenzenlos bedanken, dass Sie mir diesen Wunsch meines Lebens erfüllt haben", beginnt er. "Dieses Klavier ist für mich mehr als nur ein Musikinstrument. Es ist der Inbegriff der Freude, die Verbindung von Aufregung und Entspannung, von Offenheit und Heimlichkeit, der Dur-Laune und der Moll-Laune...", liest er weiter und lässt so eine Ahnung davon entstehen, was das Musizieren für ihn bedeutet.

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