Puchheim:Hartz IV als bürokratisches Monster

Aufwendige Anträge, intransparente Bescheide, zu wenig Personal für zu viele Arbeitslose - bei einer Diskussion in Puchheim hagelt es Kritik

Von Peter Bierl, Puchheim

Hartz IV ist weder Hängematte noch Sprungbrett, wie der Titel der Veranstaltung suggeriert hatte. Darüber waren sich bei einer Diskussion der Volkshochschule im Puchheimer Bürgertreff auf dem Podium und im Publikum fast alle einig. Kritisiert wurde die Regelung als bürokratisches Monster, dazu geeignet, Menschen mürbe und krank zu machen, geschaffen unter der rot-grünen Regierung mit Zustimmung von CDU und CSU, um einen Niedriglohnsektor für den Exportweltmeister zu verfestigen, wie es hieß.

Doris Feldmann, stellvertretende Leiterin des Jobcenters Fürstenfeldbruck, hatte keinen leichten Stand, wiewohl immer wieder betont wurde, sie sei eben gehalten, Gesetze zu vollstrecken. Feldmann begann den Abend mit einer Darstellung der Rechtslage, erklärte, dass ein allein stehender Hartz-IV-Empfänger 416 Euro bekomme. Eigenes Vermögen, Kindergeld oder Einkommen jenseits bestimmter Freibeträge werde abgezogen. Insgesamt hat das Jobcenter in Bruck derzeit etwa 5700 Leistungsberechtigte registriert, darunter sind sogenannte Aufstocker, Menschen mit niedrigen Löhnen, und 406 Langzeitarbeitslose. Asylbewerber haben keinen Anspruch. "Ich kenne keinen einzigen, der sich in der Hängematte ausruht", betonte Feldmann.

Dazu werden bestimmte weitere Auslagen übernommen, etwa Miete und Nebenkosten, in Puchheim bis maximal 550 Euro, um die Vermieter nicht anzustacheln. "Wenn wir hochgehen, gehen die Mieten auch hoch. Wir machen Wohnungspolitik", sagte Feldmann. Karin Lohr vom Verein Biss, der versucht, Menschen durch den Zeitungsverkauf wieder auf die Beine zu helfen, berichtete, dass manche in München in Löchern hausen oder 500 Euro nur für ein Bett in einem Zimmer für mehrere zahlen. "Die am schlechtesten wohnen, bezahlen am meisten", sagte sie.

Kritisiert wurde vom Publikum der Personalschlüssel des Jobcenters, nachdem Feldmann erklärt hatte, im Durchschnitt habe ein Mitarbeiter etwa 250 bis 300 Personen in der Beratung. Eine Frau berichtete, dass in der Abteilung in Bruck, die für Behinderte zuständig sei, im Schnitt 150 Menschen auf jeden Mitarbeiter entfielen. "Das ist Verwaltung und keine Betreuung", sagte sie. Mehrere Zuhörer rügten den enormen Papierkrieg. Der Hauptantrag sei sehr aufwendig, die Bescheide intransparent, kritisierte ein Sozialpädagoge. Eine Frau präsentierte dazu ein Bündel von angeblich 65 Seiten. Jeder zusätzliche Betrag, etwa für einen Schulausflug der Kinder oder einen Kühlschrank, müsse extra bewilligt werden.

"Diese Extra-Anträge für kleine Summen machen die Leute mürbe", sagte Lohr. Stattdessen müsse der Staat "großzügig" in die Weiterbildung der Erwerbslosen investieren. Der Verein "Pack ma's" bietet kleine Jobs in sozialen Einrichtungen für Langzeitarbeitslose. Sie bekommen dafür 70 Cent pro Stunde. Sinn der Sache sei es, unter Kollegen zu sein, etwas zu tun, nicht abzurutschen. "Das ist aber kein Sprungbrett", betonte Geschäftsführer Karl-Heinz Bitsch. Obendrein gebe es viel zu wenig Stellen. Wer mehr als ein Jahr ohne Lohnarbeit verbringe, für den werde es schwierig. Der Zustand sei für die Betroffenen zermürbend, das geringe Selbstwertgefühl ein Nachteil bei jedem Bewerbungsgespräch.

Als sehr erfolgreich beschrieb Feldmann ein Pilotprojekt, mit dem das Brucker Jobcenter über 100 Langzeitarbeitslose an Firmen vermittelt habe und das von der EU finanziell gestützt wird. Bitsch forderte, einen dritten Arbeitsmarkt zu etablieren für Menschen, die keine Chance mehr auf einen regulären Job haben. Dazu müssten ehrenamtliche Posten in sozialen Einrichtungen in dauerhaft staatlich geförderte Arbeitsplätze mit Mindestlohn umgewandelt werden. Lohr sprach sich gegen ein garantiertes Grundeinkommen aus, wie es von Neoliberalen und Linksalternativen gefordert wird, weil dessen Höhe mit Sicherheit sehr niedrig ausfallen würde, während der Staat jede weitere Förderung einstellen werde.

Auf die Frage aus dem Publikum nach den Verantwortlichen für die Misere, gab es zwei Antworten. "Die sitzen in den Parlamenten", stellte Erich Hage fest, der Vorsitzende der Puchheimer Volkshochschule, der den Abend souverän moderierte. "Wenn Parteien gewählt werden, die nichts für Erwerbslose tun, dann geht nichts", lautete das Fazit von Lohr.

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