Feldgeschworene:Entzauberte Geheimnisträger

Feldgeschworene ergänzen Vermessungsämter und GPS

Feldgeschworene leisten eine harte, schweißtreibende Arbeit. Darauf lassen schon ihre Werkzeuge schließen, zu denen Vorschlaghammer und Pickel gehören.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

In Puchheim sichern und setzen vier Feldgeschworene die Grenzsteine. Die Männer müssen einen guten Leumund haben, um eines der ältesten Ehrenämter in Bayern auszuüben. Früher waren sie angesehen und gefürchtet, inzwischen sind sie die Feldarbeiter von Vermessungsingenieuren

Von Peter Bierl, Puchheim

Schwerarbeit verrichteten die rüstigen Rentner in der prallen Sommerhitze vor ein paar Jahren, bevor die B-2-Umgehung bei Puchheim gebaut wurde. Allein um die Trasse zu markieren, mussten die Feldgeschworenen etwa 350 Löcher graben und neue Grenzsteine setzen. Das älteste kommunale Ehrenamt ist ziemlich profan geworden. "Früher war es ernster", sagt Georg Schmid, seit zwölf Jahren Obmann. Da waren sie Geheimnisträger und vergruben geheime Zeichen in der Nähe jedes Grenzsteins, um im Zweifelsfall prüfen zu können, ob jemand die Markierung heimlich versetzt hatte.

Das Wissen um die Grundbesitzverhältnisse und die Richterfunktion machte die Feldgeschworenen einst zu wichtigen Leuten im Dorf. Gab es Streit um den Boden, das wichtigste Produktionsmittel damals, kam es auf ihr Zeugnis an. "Die Feldgeschworenen waren die Leute, die im Dorf am meisten angesehen, aber auch gefürchtet waren", sagt Klaus Müller, ein ehemaliger kaufmännischer Angestellter. Es gibt Hinweise, dass dieses Amt in Bayern schon im Mittelalter existierte. Seit dem 16. Jahrhundert sind Protokolle sowie Steinsetz-Ordnungen überliefert, die anfangs Dorfrecht waren, dann von den Territorialherren vereinheitlicht wurden.

Nach den Reformen des Grafen von Montgelas in Bayern zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden die Regeln bei den Landgerichten, den Vorläufern der Landratsämter, zu sogenannten Siebenerordnungen zusammengefasst. Daraus leitete sich das Siebenergeheimnis ab, wie Schmid erklärt, der Name für das Wissen der Feldgeschworenen um die geheimen Zeichen. Dabei handelt es sich um besonders geformte, manchmal beschriftete Zeichen aus gebranntem Ton, Glas, Porzellan oder Metall. Sie werden im Bereich des Grenzsteins in einer bestimmten Anordnung ausgelegt, die nur die Feldgeschworenen kennen. Aus Lage und Anordnung der Zeichen erkennen Feldgeschworenen, ob ein Stein versetzt wurde oder am richtigen Platz liegt.

In Deutschland ist es seit 1900 gesetzliche Pflicht, Grundstücke abmarken zu lassen. Die Aufgabe übernahmen Mitarbeiter des staatlichen Vermessungsamtes. Früher scheint es deutlich rustikaler zugegangen zu sein. Jakob Brandmeier, der vierte im Bunde der Feldgeschworenen, erzählt, wie seine Eltern 1950 ein Grundstück im Dorf von der Gemeinde erwarben. "Der Bürgermeister ist das Gelände zu Fuß abgeschritten und hat die Parzellen verteilt", berichtet er. Sein Vater habe später jemanden dabei ertappt, der den Grenzstein versetzen wollte. Die Arrondierung der Felder und Wiesen habe man mit dem Maßband vorgenommen, sagt Schmid.

Das Siebenergeheimnis erledigte sich im Lauf der Zeit durch die Technisierung, sagte Stefan Scheugenpflug, Pressesprecher des Landesamtes für Digitalisierung, Breitband und Vermessung. Heute rücken die Ingenieure mit ihren Geräten an und bestimmen die Lage jedes Grenzsteins anhand von Koordinaten zentimetergenau. "Die sagen uns, wo wir die Steine setzen müssen. Wir sind die Arbeiter", erzählt Werner Schröder. Der ehemalige Kripobeamte, 69 Jahre alt, versieht das Ehrenamt seit knapp fünf Jahren.

Feldgeschworene

Bürgermeister Norbert Seidl (von links) mit den vier Feldgeschworenen Georg Schmid, Werner Schröder, Klaus Müller und Jakob Brandmeier.

(Foto: Günther Reger)

In einigen Gebieten Bayerns, insbesondere in Unterfranken, hält sich das Siebenergeheimnis noch, als eine Art Traditionspflege. Scheugenpflug schließt nicht aus, dass es auch in Südbayern noch Feldgeschworene gibt, die solche Zeichen vergraben. "Man weiß es nicht genau, schließlich ist es ja ein Geheimnis", sagt er. In Puchheim werden laut Schmid seit rund hunder Jahren keine Zeichen mehr versteckt.

Dass das Ehrenamt auch in Puchheim etwas mit dörflichen Traditionen zu tun hat, erkennt man daran, dass von den derzeit vier Feldgeschworenen drei aus dem kleineren Altdorf stammen. Brandmeier und Schröder sind sogar noch in Puchheim-Ort von einer Hebamme zur Welt gebracht worden. Nur Müller kommt aus dem städtischen Puchheim-Bahnhof. Auch Schmids Vorgänger als Obmann, ein Bauer, der 44 Jahre als Feldgeschworener diente, stammte aus Puchheim-Ort. "Die Institution ist fest in der Hand der Ortler", sagt Schmid.

Zur Zeit ist nicht viel los. Manchmal sind sie zwei bis dreimal im Monat im Einsatz, dann ist ein paar Monate Ruhe. Ab und an werden die Feldgeschworenen gerufen, um bei Grundstücksteilungen oder beim Bau von Doppelhäusern neue Grenzsteine zu setzen. Zu den Aufgaben gehört, einmal gesetzte Grenzzeichen zu suchen und aufzudecken, aufrichten oder auswechseln, höher oder tiefer setzen oder gefährdete Steine zu sichern, wenn ein Grundstückseigentümer dies beantragt. Wenn alle betroffenen Eigentümer zustimmen, dürfen Feldgeschworene fehlende Grenzzeichen wieder einbringen. Auf Anordnung des Bürgermeisters laufen Feldgeschworene auch die Grenzen einer Kommune ab und checken die Grenzsteine. In Puchheim fand die letzte Begehung vor etwa 15 Jahren statt, erinnert sich Schmid.

Haben sie einen Auftrag, treffen sich die Feldgeschworenen am Bauhof, wo ihr Anhänger mit Werkzeugen und Steinen steht, fahren zu der betreffenden Stelle und verrichten ihre Arbeit. Dafür bekommen sie ein Aufwandsentschädigung. Feldgeschworene müssen einen guten Leumund haben, sie werden vom Bürgermeister vereidigt, "damit sie den Mund halten", wie Schmid die Verschwiegenheitspflicht beschreibt.

Die Arbeit ist leichter geworden, seit die Grenzsteine nur noch 50 statt wie früher bis zu achtzig Zentimeter lang und der Kopf nur noch einen Durchmesser von zehn statt bis zu 18 Zentimeter hat, wie Schmid sagt. An der B 2 mussten sie noch 60 Zentimeter lange Steine vergraben.

In Puchheim sind die Feldgeschworenen sechs Jahre im Amt. Im Januar begann eine neue Periode. Vor einigen Tagen bestätigten die vier Feldgeschworenen Schmid in der Funktion des Obmanns. Müller fungiert als neuer Stellvertreter. Die vier sind für das ganze Stadtgebiet zuständig.

Zu wenig, falls jemand krank wird oder im Urlaub ist, findet Schmid. Wenn sie gerufen werden, müssen Feldgeschworene bei jedem Wetter raus. Darum suchen sie noch zwei weitere. Schmid möchte in zwei Jahren aufhören. "Mit 80 laufe ich nicht mehr über die Felder", sagt der ehemalige Chauffeur, der lange als Vorsitzender des Obst- und Gartenbauvereins engagiert war. Müller könnte Nachfolger werden. Angefangen hat er, als die Feldgeschworenen die Umgehungsstraße markierten.

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