Puchheim:Die SPD-Basis begehrt auf

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Die Attacken der Europa-Abgeordneten Maria Noichl auf Sigmar Gabriel finden bei den Kreis-Sozialdemokraten viel Beifall

Von Karl-Wilhelm Götte, Puchheim

Offenbar sind Delegierte des SPD-Unterbezirksparteitags vom leidenschaftlichen Auftritt der Europaabgeordneten Maria Noichl angespornt worden. Gleich mehrere Delegierte gingen am Samstag anschließend mit dem SPD-Parteichef Sigmar Gabriel ganz heftig ins Gericht. Auch Rücktrittsforderungen wurden laut. Hintergrund war die Rede der SPD-Europaabgeordneten Maria Noichl, die Gabriels positive Haltung zum Freihandelsabkommen TTIP der EU mit den USA vehement kritisierte. "Gabriel ist nicht die SPD", sagte Noichl unter dem Beifall der etwa 50 Delegierten, "wir sind die SPD."

Die 49-jährige Rosenheimer EU-Abgeordnete appellierte an die Versammlung, sich sowohl bei TTIP und Ceta, dem bereits ausgehandelten Abkommen der EU mit Kanada, klar zu positionieren und warnte Gabriel als Wirtschaftsminister davor, Ceta vorzeitig in Kraft zu setzen. "Die Kampflinie", formulierte Noichl, "läuft bei beiden Abkommen zwischen den Konzernen und dem Volk. Wir sollten uns klar auf die Seite des Volkes stellen." Die SPD-Politikerin kündigte einen "subjektiven Vortrag" an: "Ich kann das nicht neutral darstellen, ich werde Ceta ablehnen." Ende des Jahres könnte Ceta im EU-Parlament abgestimmt werden. Noichl rechnet mit der Ablehnung durch das Parlament. Die "unheilige Allianz" mit den rechten Parteien und EU-Gegnern nehme sie dabei in Kauf. "Da sind rote Linien überschritten", machte Noichl klar. Sie werde sich bei ihrer ablehnenden Haltung auch nicht einem möglichen Druck aus Berlin beugen; gemeint war die SPD-Parteiführung.

Dafür gab es Beifall der Basis, auch weil Noichl bei Ceta und TTIP den Abbau von Umweltstandards und Arbeitnehmerrechten befürchtet, für die die SPD lange gekämpft hatte. "Von frei auszuhandelnden Arbeitslöhnen steht da auch nichts drin", so die Rosenheimerin empört. Überhaupt nicht akzeptabel sei, dass Konzerne gegen Entscheidungen von Parlamenten klagen könnten, um vermeintlich entgangene Profite einzutreiben. "Aus den Abkommen entstehen Verpflichtungen, die bindend bis in die Kommunen durchgreifen. Nur die Konzerne dürfen klagen, keine Staaten und keine Bürger", so die Rednerin. Die ehemalige bayerische Landtagsabgeordnete kritisierte, in beiden Handelsabkommen fehlten die Auswirkungen auf Drittländer. "Erzeugen die Abkommen Fluchtursachen?", fragte sie und beantwortete ihre Frage mit "Ja". "Unser Konsum und Wohlstand basiert seit Jahrhunderten auf der Ausbeutung von anderen", unterstrich Noichl und plädierte unter lang anhaltendem Beifall der Delegierten für eine neue Handelspolitik mit der Dritten Welt.

Der Gröbenzeller Gemeinde- und Kreisrat Peter Falk warnte vor den negativen Folgen der Handelsabkommen für die Sicherheit in Europa. "Es darf keinen gemeinsamen Markt gegen Russland geben", so Falk, der Flüchtlinge, die nach Europa kommen, als "Heimatvertriebe" bezeichnete, die wegen Kriegen, aber auch aufgrund von "Armut und Aussichtslosigkeit" kämen, was sich mit TTIP noch verschärfen werde. Auch Falk kritisierte Parteichef Gabriel heftig: "Die Kanzlerkandidatur wird von der Partei nicht mehr getragen."

Der SPD-Kreisvorsitzende Michael Schrodi monierte, dass auf Parteitagen Entscheidungen getroffen werden, die in der Bevölkerung und bei Mitgliedern keine Gegenliebe fänden. Er wusste auch: "Nach dem letzten Parteitag sind körbeweise Austrittsschreiben ins Willy-Brandt-Haus gekommen." Parteitage liefen nur noch inszeniert ab. Noichl sah das genauso: "Seit Jahren werden Parteitage so gefädelt, dass es zu keiner Diskussion mehr kommt." Sie sprach von der "Ohnmacht der Delegierten", die dann "im Personalbereich reinhauen". Das erkläre das schlechte Wahlergebnis von Gabriel. Auch Jürgen Cullmann aus Mammendorf, zuletzt SPD-Kandidat zur Europawahl, vermisste einen klaren Kurs in Sachen TTIP und hatte Gabriel im Visier. "Wir stochern im Nebel, weil die Parteiführung nichts vorgibt." Der Mammendorfer Manfred Schön ging noch einen Schritt weiter: "TTIP muss abgelehnt werden, auch wenn Gabriel zurücktreten muss."

© SZ vom 18.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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