Politscher Abend im Maisacher Bierzelt:Pendlerin zwischen Kuhstall und Parlament

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Ulrike Müller ist stolz darauf, Bäuerin zu sein und eine Großfamilie zu haben. Das verleiht ihr bei dem Auftritt in Maisach Selbstbewusstsein. (Foto: Günther Reger)

Die Bäuerin Ulrike Müller ist die einzige Europaabgeordnete der Freien Wähler. Sie fordert von der Politik mehr Glaubwürdigkeit und von der EU, dass diese sich nur noch um die wichtigen Dinge kümmern soll

Von Gerhard Eisenkolb, Maisach

Für ihren Auftritt im Maisacher Bierzelt hätte Ulrike Müller gerne ihre legeren Jeans gegen ein Dirndl gewechselt. Die Tracht bleibt dann aber doch in ihrem Auto, obwohl die einzige Europaabgeordnete der Freien Wähler aus dem Ostallgäu dann fast mit dem die Stirnseite der Bühne füllenden Bild eines Alpenpanoramas verschmolzen wäre. Das wäre zu viel der Alpenidylle. Zudem hat die solide und bodenständig auftretende Bäuerin das nicht nötig. Ihr ist ihre politische Botschaft wichtiger als Folklore und Stammtischparolen, die sonst politische Bierzeltabende prägen. Das mehr als Tausend Besucher fassende Zelt füllt sich, wie von Organisator Gottfried Obermair nach einem Regenguss befürchtet, nur spärlich. Mit 150 Zuhören kommen dann doch ebenso viele wie vor einigen Jahren zum Bierzeltabend mit dem FW-Vorsitzenden Hubert Aiwanger. Zudem gibt es am Donnerstagabend für viele Maisacher noch einen mit der Politik konkurrierenden Pflichttermin, nämlich den Rosenkranz für den verstobenen Vater des Maisacher Bürgermeisters, was Obermair gleich mehrmals erwähnt.

Die Luitpoldmusikanten Germerswang spielen mit einer Hingabe auf, als ob sie sich vor einem vollen Haus bewähren müssten. Solche Äußerlichkeiten sind Müller, die am Morgen noch die Kühe auf ihrem Hof gemolken hat und beteuert, zu wissen, wo sie verwurzelt sei und wo sie gestalten könne, nicht wichtig. Verwurzelt ist sie in ihrer Viergenerationenfamilie in Missen-Wilhams und gestalten kann sie im Europaparlament und eben nicht im Landtag, dem sie bis zum Jahr 2014 sechs Jahre lang angehörte. Der Alltag der Politikerin ist klar gegliedert. Vier Tage je Woche verbringt sie in Brüssel oder Straßburg, die verbleibenden drei Tage arbeitet sie auf dem Hof mit und bereist ihren Stimmkreis, der ganz Deutschland umfasst. Schließlich ist die Ehrenkreisbäuerin aus dem Ostallgäu die einzige FW-Europaparlamentarierin.

Das Vorschusslob Obermairs sei ihr peinlich, merkt sie an, um in ihrem Dialekt zu ergänzen: "Nicht g'schimpft ist g'nug g'lobt." Hier klingt mit an, dass sie es gewohnt ist, sich als Bäuerin alles "hart" zu erarbeiten und Politik nicht alles ist, sondern nur eine Lebensphase. Dann beginnt sie, mit Vorurteilen zu Europa aufzuräumen. Beispielsweise mit der Biertischparole, dass Europa an allem Schuld sei. Schuld sind die gewählten Politiker, die sich scheuen, den Bürgern die Wahrheit zu sagen. "Das ist das größte Problem", beteuert die Abgeordnete. Und sie räumt ein, dass es tatsächlich Probleme ohne Ende gebe und keines gelöst sei. Nur liege das nicht am Europaparlament. Da in Europa alles übers Geld laufe, schlägt Müller vor, den Ländern, die sich beispielsweise weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, die finanziellen Zuwendungen zu kürzen. Dann würden sie ihren Beitrag leisten und ein zentraler Punkt der Flüchtlingskrise wäre gelöst. Und die landwirtschaftliche Hauswirtschafterin ist überzeugt, dass Griechenland seine Schulden nicht zurückzahlen wird. Auch das sollten die in der Verantwortung stehend Politiker offen sagen. Deshalb wäre es das Beste, die Griechen aus dem Euro rauszulassen. Einmal hat Müller die Lacher auf ihrer Seite. Das ist der Fall, als sie vor dem Konservierungsmittel Parabene in Kosmetika warnt und darauf hinweist, dass Frösche, die damit behandelt worden sind, ihr Geschlecht gewechselt hätten. So lustig wie die Lacher im Publikum findet das die Allgäuerin und "überzeugte Europäerin" nicht. Geht es darum, den Bestand von Europa zu wahren, setzt die selbstbewusste Rednerin auf Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit. Zur Lösung der Krise der Europäischen Union schlägt sie vor, das Europaparlament zu stärken und in Brüssel abzuspecken, das sich nur noch um wichtige Dinge kümmern soll, etwa Außen- und Sicherheitspolitik, Handel, Migration, Energie und Jugendarbeitslosigkeit. Um den Rest sollten sich die Regionen kümmern, die das besser könnten.

Der Freisinger FW-Landtagsabgeordnete Benno Zierer konterkariert den Auftritt von Müller etwas. Die Europäische Union, so dessen Kritik, wollte billige Lebensmittel und habe die Bauern an den Subventionstropf gehängt. Das sei die "neue Sklavenarbeit", die die EU gebracht habe. Der Münchner FW-Landtagsabgeordnete Michael Piazolo forderte eine Erneuerung der europäischen Idee und eine europäische Antwort auf die Globalisierung. Geschehe das nicht, werde Europa scheitern. Dann wird die Bayernhymne gesungen.

© SZ vom 20.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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