Olching:Ungewissheit und Angst

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Wenn alte Menschen ihre Wohnung verlassen müssen, kommen Probleme zutage, mit denen sie nie gerechnet hätten. (Foto: Catherina Hess)

Ein altes Ehepaar muss seine Wohnung räumen. Doch eine neue zu finden, ist schwer

Von Julia Bergmann, Olching

40 Jahre lang hat Renate Schmied in ihrer Dreizimmerwohnung gelebt, bis der Brief vom Vermieter kam. Kündigung wegen Eigenbedarfs. Bis zum 1. Oktober hätten Renate Schmied und ihr Mann die Wohnung räumen sollen. Aber wohin dann? Mit ihrer kleinen Rente konnten die beiden bisher keine bezahlbare Wohnung finden. Renate und Manfred Schmied, die ihre echten Namen nicht in der Zeitung lesen möchten, sind geblieben und so war die Räumungsklage unausweichlich. Jetzt drängt die Zeit, aber eine Wohnung, die noch dazu den Bedürfnissen ihres kranken Ehemannes entspricht, ist immer noch nicht in Sicht. Hinzu kommt, dass die Schmieds beim Auszug aus ihrer Wohnung keine Rückzahlung einer Kaution erwarten können. "Als ich dort eingezogen bin, wollte der Vermieter keine Kaution. Damals hätte ich das Geld noch gehabt", erzählt die 63-Jährige. Weil sie aber weiß, dass ein neuer Vermieter auf eine Kaution nicht verzichten wird, möchte der SZ-Adventskalender das Ehepaar unterstützen.

Um die monatliche Zahlung der Miete, macht sich die Rentnerin weniger Sorgen, wenn sie auch weiß, dass sie ihre Ansprüche senken muss. Eine Zweizimmerwohnung würde reichen, vielleicht mit 60 Quadratmetern fügt sie hinzu. Drei Zimmer zu dem Preis von vor 40 Jahren, das weiß sie, wäre ohnehin unrealistisch. Aber dann fangen die Probleme an.

Ihr Mann ist körperlich stark eingeschränkt. Nach einem Sturz von den Treppen vor einigen Jahren zog er sich ein beidseitiges Schädelhirntrauma zu. Es war keine Unachtsamkeit, kein Missgeschick, dass den Mann stürzen ließ. Im Krankenhaus erhielt er schnell die Diagnose Epilepsie. Die Ärzte gingen davon aus, dass ein Anfall zu dem Unfall führte. Manfred Schmied muss seitdem starke Medikamente einnehmen, in seinen Beruf konnte der heute 59-Jährige nicht zurückkehren. Autofahren, Fahrradfahren, selbst längere Fußmärsche waren von dem Zeitpunkt an für ihn ohne Begleitperson nicht mehr möglich. Zu groß die Gefahr eines neuen Anfalls. "Er zog sich immer mehr zurück", erzählt Renate Schmied.

Die Diagnose, die Einschränkungen, all das ließ ihn nach und nach in eine Depression abgleiten. Zudem leidet er seit dem Sturz unter immer stärker werdenden Gedächtnislücken. "Der behandelnde Arzt hat uns dazu geraten, eine Wohnung in der Umgebung zu suchen", sagt Renate Schmied. Aufgrund seiner kognitiven Probleme sei es besonders in letzter Zeit häufiger dazu gekommen, dass ihr Mann den Rückweg zur Wohnung nicht mehr ohne weiteres finden konnte. Würde das Ehepaar nun noch in eine völlig unbekannte Gegend ziehen, würde er vielleicht überhaupt nicht mehr zurückfinden, so die Befürchtung seiner Frau. So hoffe sie weiterhin zumindest in Neu-Esting bleiben zu können. "Auch zu Fuß ist er nicht mehr gut unterwegs, die Beine spielen nicht mehr richtig mit", sagt seine Frau. Deshalb sei es besonders wichtig, dass die neue Wohnung des Ehepaars im Erdgeschoss liegt oder dass es einen Lift im Treppenhaus liegt. Ein Balkon wäre auch schön, damit ihr Mann regelmäßig an die frische Luft kommt.

Die Depression ist auch seiner Frau nicht fremd. Sie kamen mit ihrer lange Zurückliegenden Scheidung von ihrem ersten Mann. Später gab es Streitigkeiten in ihrer Familie. Mit ihrer Tochter hat sie seither keinen Kontakt mehr, die Enkelkinder kann sie nur selten sehen. Nach mehreren Bandscheibenvorfällen konnte die 63-Jährige nicht mehr arbeiten. Dadurch, dass sich ihre Situation laufend verschlechtert hat, knirscht die 63-Jährige seit Jahren im Schlaf mit den Zähnen, so dass eine teure Zahnbehandlung notwendig wurde, die sie momentan in kleinen Raten abbezahlen muss.

Durch die Räumungsklage hat sich ihr Zustand verschlechtert. Die Ungewissheit und die Angst davor, bald auf der Straße zu stehen und die Sorge um ihren Mann belasten die Frau stark. Trotzdem versucht sie, ihr Leben zu meistern, pflegt ihren Mann, wo es nötig ist. Hilfe von außen will sie sich erst holen, wenn es überhaupt nicht mehr anders geht.

© SZ vom 10.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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