Verhandlung:Schwierige Suche nach dem Schuldigen

Bahn-Unfall

Hoher Schaden: Der Baggerarm zerstört die S-Bahn, das ganze Gerät Lärmschutzwand und Gleise. Der Sachschaden liegt bei vier Millionen Euro.

(Foto: Günther Reger)

Wer ist verantwortlich für den Unfall, bei dem im Mai 2014 eine S-Bahn einen Bagger erfasst und vier Personen verletzt werden? Der Prozess am Amtsgericht gegen einen 66-jährigen Germeringer wird eingestellt

Von Ariane Lindenbach, Olching

Vier teils lebensgefährlich Verletzte, ein Millionenschaden und eine Woche keine S 3: Als im Mai 2014 bei Gleisbauarbeiten am S-Bahnhof Olching eine S-Bahn ohne Fahrgäste einen Bagger rammt, sind viele Pendler von den Unfallfolgen betroffen. Doch wer ist für den Zusammenstoß verantwortlich? Jedenfalls nicht der sogenannte Technische Berechtigte, der von Seiten der Bahn die Gleissperrung verantwortet und diese dann an die Bauarbeiter weiterkommuniziert. Zu diesem Ergebnis kommen die Prozessbeteiligten einer Verhandlung wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr am Mittwoch vor dem Amtsgericht gegen einen 66-Jährigen. Ein Richter stellt das Verfahren gegen den Germeringer mit Einverständnis des Staatsanwalts und gegen 4000 Euro Geldauflage ein. Denn die Aussage des Bauleiters lässt weitere Fragen aufkommen, insbesondere die, ob der 54-Jährige womöglich mitverantwortlich für den Unfall war.

In der Zeit zwischen 5. und 9. Mai 2014, jeweils von 22 bis 6.30 Uhr, soll am S-Bahnhof die Weichenheizung erneuert werden. Die Kollision ereignet sich in der zweiten Nacht, am frühen Morgen des 7. Mai. Gegen 4.27 Uhr durchfährt eine S-Bahn auf Gleis 2 Richtung München den Bahnhof. Auf Gleis 1 befindet sich ein sogenannter Zweiwegebagger. Der Baggerführer und spätere Geschädigte ist gerade dabei, die zweite und letzte Palette mit Baumaterial zwischen Gleis 2 und 3 abzulegen. In dem Moment erfasst die S-Bahn, laut Anklage mit einer Geschwindigkeit von 108 Stundenkilometer (erlaubt sind 120), den Baggerarm. Die Bahn wird schwer beschädigt und entgleist. Der Bagger kippt in die Lärmschutzwand und beschädigte diese sowie die Gleisanlage ebenfalls erheblich. Den Sachschaden schätzt die Staatsanwaltschaft auf knapp vier Millionen Euro.

Dem Angeklagten legt sie nun zur Last, im Rahmen der Baubesprechung angegeben zu haben, dass die Gleise 1 und 2 in der Nacht auf den 7. Mai für den Bahnverkehr gesperrt sein würden. Deshalb sei es zu dem Unfall gekommen, weshalb der 66-Jährige sich der fahrlässigen Körperverletzung von vier Personen und eines fahrlässigen Eingriffs in den Eisenbahnverkehr strafbar gemacht habe, lautet der Vorwurf der Anklageschrift.

Der selbständige Germeringer widerspricht der Darstellung entschieden. Er habe Gleis 2 nicht freigegeben, der Bauleiter habe ihm nicht einmal Bescheid gegeben, dass in dieser Nacht auf diesem Gleis gearbeitet werde. Sein Verteidiger weist auf die 30 Jahre Berufserfahrung seines Mandanten hin - ein Großteil davon bei der Bahn - und zitiert aus den Akten eine mutmaßlich entlastende Aussage. "Das ist nicht zwingend", findet Richter Johann Steigmayer. Aber nachdem der Angeklagte eine Stunde ausgesagt hatte, kommt er zu dem Schluss: "Möglicherweise ist da geschlampt worden, von wem auch immer."

Als erster Zeuge wird der Bauleiter in den Gerichtssaal gerufen. "Wie ist das vonstatten gegangen mit den Gleissperrungen? Wer hat wem was mitgeteilt?", fragt der Vorsitzende. "Die Sipos (Sicherungsposten, Anm. d. Red.) sagen mir, jetzt ist das Gleis gesperrt." Als der Richter irritiert nachhakt, da die letzte Stunde ergeben hat, dass nur allein der Angeklagte das Gleis frei geben darf, wird der 54-Jährige unsicher. "Nageln Sie mich jetzt nicht fest, ich weiß es nicht", sagt er: "Eben keiner hat mir das mitgeteilt." Daran, dass er genau dasselbe bei seiner polizeilichen Vernehmung ausgesagt hatte, kann er sich nicht mehr erinnern. Wie er weiter berichtet, war die Zeit in jener Nacht knapp. Als die Paletten von dem Bagger über Gleis 2 gehoben werden, steht er direkt daneben. Auf Steigmayers Fragen, warum er da nicht wegen der Gleissperrung nachgefragt habe, sagt der Bauleiter: "Weil ich in dem Moment nicht dran gedacht habe."

An dieser Stelle unterbricht der Richter die Vernehmung für ein Rechtsgespräch. Gut 30 Minuten später wird das Verfahren gegen den Germeringer eingestellt. Die 4000 Euro zahlt er ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und unter Anrechnung etwaiger Schmerzensgelder an den immer noch berufsunfähigen Baggerführer. Die Staatsanwaltschaft und Zivilgerichte werden wegen Klärung der Kostenfrage mit dem Unfall noch länger beschäftigt sein.

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