Olching:"Eine Diagnose kann einiges erleichtern"

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Verhaltenstherapeutin Susanne Frauwallner kennt die Probleme von Familien mit behinderten Kindern

Interview von Anna Landefeld-Haamann

In dieser Woche berichtet der SZ-Adventskalender über Familien mit kranken und behinderten Kindern. Susanne Frauwallner ist psychologische Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie. Beim Kinderschutzbund Fürstenfeldbruck vermittelt sie auch Familienpaten an Familien mit kranken Kindern. Im Olchinger Integrationskindergarten Seepferdchen mit insgesamt 15 Kindern, davon fünf mit seelischer Behinderung, leitet sie den psychologischen Fachdienst.

SZ: Frau Frauwallner, der Begriff seelische Behinderung ist nicht geläufig. Was versteht man denn darunter?

Susanne Frauwallner: Es sind Kinder, die motorisch und kognitiv noch nicht so weit sind wie Gleichaltrige. Man spricht dann von Entwicklungsverzögerungen. Aber auch ein auffälliges Sozialverhalten fällt darunter. Statt seelischer Behinderung spricht man aber eher von Kindern mit besonderem Förderbedarf.

Was sind die Ursachen dafür?

Oft sind es Kinder, die zu früh geboren wurden oder deren Geburt mit Komplikationen verlaufen ist. Häufig kommen diese Kinder auch aus schwierigen Familienkonstellationen.

Schwierig heißt?

Die Kinder wurden zu Hause wenig gefördert, zum Beispiel mit Vorlesen oder Spielen. Manchmal haben die Eltern keine Zeit oder wissen schlichtweg nicht, wie sie ihr Kind am besten fördern können. Genauso können aber auch Trennungen oder Gewalt die Entwicklung beeinflussen.

Wie reagieren Eltern auf die Diagnose?

Eltern haben grundsätzlich immer Angst vor Diagnosen. Sie haben Angst davor, dass ihr Kind abgestempelt und in eine Schublade gesteckt wird. Für meine Arbeit im Kindergarten spielen Diagnosen keine Rolle. Ich schaue mir immer nur an: was braucht das Kind, in welchen Bereichen kann ich es stärken. Kurz - wie kann ich ihm helfen. Ich empfehle den Eltern aber immer, den Befund noch einmal vor der Einschulung durch einen Arzt überprüfen zu lassen.

Der vier Jahre alte Felix ist wegen seiner Krankheit auf den Rollstuhl angewiesen. (Foto: Günther Reger)

Eine Diagnose schafft auch Gewissheit.

Manchmal kann eine Diagnose einiges erleichtern, zum Beispiel in der Schule. Die Lehrer könnten bei einem unruhigen und hibbeligen Kind denken, es sei einfach nur verzogen. Sie sind strenger, greifen öfter durch. Wenn sie aber wissen, es leidet unter ADHS, können sie ihm Zugeständnisse machen, weil sie wissen, das Kind kann nichts für sein Verhalten. Eltern sollten offen mit der Diagnose umgehen.

Sie vermitteln auch Paten für Familien mit kranken Kindern.

Seit anderthalb Jahren betreut der Kinderschutzbund in Puchheim eine Familie aus dem Kosovo, der der SZ-Adventskalender im vergangenen Jahr geholfen hat. Das kleine Mädchen leidet an Skoliose, einer Wirbelsäulenverkrümmung. Sie muss mehrmals im Jahr operiert werden, weil ihr Körper noch wächst. Die Familie muss dafür in eine Fachklinik nach Karlsruhe fahren. Allein die Kosten für Fahrten und Unterbringung sind nicht zu unterschätzen. Denn für diese kommen die Krankenkassen häufig nicht auf.

Die Familie muss also auch noch diese Belastung tragen?

Sie leihen sich einen Teil des Geldes von der Verwandtschaft zusammen. Manchmal kommt auch etwas aus Spendenaktionen. Wir verteilen dann zweckgebundene Gutscheine an die Familie. So schaffen wir zumindest kurzfristig Erleichterung.

Abgesehen von Krankheit und Geldnöten, was ist das größte Problem für die Familien ?

Es ist tatsächlich die Wohnungssuche. Da stößt der Kinderschutzbund regelmäßig an seine Grenzen. Familien mit vielen Kindern haben so gut wie keine Chance, eine bezahlbare Wohnung mit ausreichend Platz zu finden. Diese muss auch noch vom Amt finanziert werden. Unmöglich wird es dann, wenn sie sich auch noch mit gebrochenem Deutsch am Telefon melden.

Gibt das Amt nicht Sicherheit?

Auch die gibt es schon lange nicht mehr. Früher galt das Jobcenter als zuverlässiger Mietzahler. Es passiert aber ab und zu, dass eine Familie einen Antrag nicht fristgerecht einreicht, so dass auch die Mietzahlungen storniert werden. Ein Vermieter sagt sich dann, wenn die Miete nicht mehr sicher ist, dann bekommt eine sozialschwache Familie auch keine Wohnung von mir.

Was ist mit Sozialwohnungen?

Die Psychotherapeutin Susanne Frauwallner leitet den Fachdienst im Olchinger Integrationskindergarten und engagiert sich beim Kinderschutzbund. (Foto: Günther Reger)

Wir bekommen von den Wohnungsgesellschaften häufig die Antwort, es gebe keine Wartelisten, die Wohnungen seien in den Zeitungen inseriert. Wenn es doch mal mit einer Warteliste geklappt hat, dann heißt das noch lange nicht, dass sich auch mal jemand meldet. Das ist eigentlich noch nie passiert.

Inklusion ist ein wichtiges Thema. Wie wirkt es eigentlich auf Regelkinder?

Die Kinder können voneinander nur lernen - ganz viel Toleranz oder Rücksicht auf andere zu nehmen. Auch sind integrative Gruppen viel kleiner, so dass Kinder ohne besonderen Förderbedarf intensiver und individuell betreut werden können.

Befürworten Sie eine uneingeschränkte Inklusion in Krippen, Kindergärten und Schulen?

Ich glaube, dass es bei Kindern mit körperlicher Behinderung leichter funktionieren kann. Mir ist aber auch ein Fall bekannt, bei dem den Eltern von einem kleinwüchsigen Kind die Schule regelrecht ausgeredet wurde. Die Schulleitung meinte beispielsweise, dass das Mädchen gar nicht in die Schule reinkommen würde, weil die Eingangstür zu schwer sei. Die Eltern hatten das Gefühl, ihr Kind sei nicht willkommen.

Und bei seelisch oder geistig behinderten Kindern?

Die Lehrer in Regelschulen unterrichten ohnehin schon viele unterschiedliche Schüler - Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten oder unterschiedlichem Leistungsstand. Wenn dann noch Kinder mit besonderem Förderbedarf darunter sind, wird es anspruchsvoll. Das kann ein Lehrer allein gar nicht leisten. Inklusion ist gut, aber der Alltag an den Schulen sieht anders aus.

Wie kann es funktionieren?

In kleinen Gruppen mit interdisziplinärem und vor allem genügend Fachpersonal.

© SZ vom 04.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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