Mitten in Fürstenfeldbruck:Die Kunst der Entschuldigung

Beim Absagen von Terminen haben es Mütter einfacher als andere Leute

Von Henning Vetter

Eine Mutter hat allerlei Aufgaben. Stillen, gemeinsames Basteln, dem Blockflötenunterricht beiwohnen oder Räuber Hotzenplotz vorlesen. Der Begriff der "mütterlichen Pflichten", so vage er auch immer bleiben mag, verrät Noblesse. Er klärt über ein Geflecht von Zuneigung und Ermahnung, Ermattung und Erfüllung auf, welches eine Mutter durchlebt, und ruft reflexartig Anerkennung hervor. Kein Wunder also, dass die mütterlichen Pflichten gern als Entschuldigung herangezogen werden, um langwierigen Veranstaltungen fernzubleiben. Wer kann schon etwas gegen eine Mutter sagen, noch dazu eine pflichtbewusste? Und wer würde nicht selbst gern eine so anerkannte, ja begrüßenswerte Ausflucht vorweisen können?

Denn prekär wird es, wenn geladene Gäste schlicht verkünden lassen, terminliche Überschneidungen hätten die Anwesenheit verhindert - ein Glück nur, dass die Vertretung keine anderen Termine hat. Peinlich wird es, wenn die Liste derer, die solches verlauten lassen, nicht enden mag, und man sich die Zeit nimmt, sie alle zu erwähnen. Die jungen Gesellen, die am Dienstag im Graf-Rasso-Gymnasium freigesprochen worden sind, lassen diese nicht enden wollende Aufzählung tapfer über sich ergehen. Ebenso wie die zahlreichen Ratschläge, Aufrufe, Familiengeschichten, Belehrungen und Danksagungen derer, die keine anderen Termine haben und da sind.

Dabei gibt es so einiges zu erfahren. Beim Bergsteigen war zum Beispiel Andrea Reuß, Leiterin der Berufsschule, aufgefallen, dass man auf einem Berg eine schöne Aussicht hat, aber auch wieder hinabsteigen muss, um am nächsten Tag vielleicht den nächsten Berg erklimmen zu können - genau wie die Gesellen, die jetzt fertig sind, aber irgendwie auch nicht, und sie sollen die Aussicht genießen, aber irgendwie auch nicht, denn es gibt ja noch andere Berge. Soso. Die Natur als Motiv für starke Bilder hat auch Landratsstellvertreter Johann Wieser auserkoren. Er führt Benjamin Britten ins Feld, dem, in einem Boot sitzend, auffiel, dass er trieb, wenn er das Paddel nicht bediente. Erleuchtend. Ähnlich nützliche Beobachtungen hatten auch die nur auf den ersten Blick fachfremd erscheinenden Denker Martin Luther sowie Heinrich von Kleist gemacht. Erwähnenswert ist auch der deutsche Kulturhistoriker Hermann Glaser, der verlauten ließ: "Dem Gedanken geht die festliche Rede aus dem Weg. Was gemeint ist, bleibt unklar; wahrscheinlich ist überhaupt nichts gemeint."

Zu guter Letzt sei noch Otfried Preußler genannt. Von dem gibt es zwar kein schlaues Zitat, aber er hat den Räuber Hotzenplotz geschrieben - und der gehört zu jenen Pflichten, die das Fehlen bei derlei Festivitäten entschuldbar machen. Die Mütter werden es ihm danken.

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