Mitten in Germering:Vier Bewerber, eine Schildkröte

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Die Polizei findet eine entlaufene Schildkröte und sieht sich gleich mit mehreren angeblichen Haltern konfrontiert

Von Stefan Salger

Was passiert, wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt, kann einem jeder Milchbauer erzählen. Nach Abschaffung der Mengenquote ist der Milchpreis in den Keller gerauscht. Andersrum funktioniert das auch: Wenn das Angebot klein und die Nachfrage groß ist, treibt das bei Versteigerungen den Preis durch die Decke. Den Zuschlag erhält der Meistbietende. Ähnliche Zusammenhänge werden im Münchner Umland sichtbar, wenn mal wieder ein erschwingliches Apartment vermietet werden soll. Die Schlange der Bewerber reicht bei Besichtigungsterminen dann nicht selten bis raus auf die Straße.

Den Zuschlag erhält der Zahlungskräftigste, am seriösesten Wirkende.

In Germering ist das nicht anders. Neu ist, dass am Mittwoch Bewerber vor der Polizeiinspektion anstehen, die doch lediglich eine kühle Ausnüchterungszelle und ein paar stickige Büros zu bieten hat. Das Interesse der allesamt seriös wirkenden Bewerber gilt freilich nicht den Räumen, sondern einem Streuner, der sich seit Montag in Polizeigewahrsam befindet: An der Hartstraße hatten Beamte eine herrenlose griechische Landschildkröte festgenommen. Dem Aufruf der Ordnungshüter, der Eigentümer möge sich melden, um dem Tier die Weiterreise in eine Reptilienstation zu ersparen, folgt dann nicht nur ein potenzieller Besitzer, sondern es sind gleich derer vier. Die Nachfrage ist also eindeutig höher als das Angebot. Da sich hier marktwirtschaftliche Instrumente verbieten, muss der rechtmäßige Besitzer ermittelt werden. Mag es bei den Ordnungshütern Wissenslücken geben bei Fütterung, Haltung oder Zucht griechischer Landschildkröten - das Ermitteln zählt zu ihren Kernkompetenzen. Bei Verbrechen werden Details "aus ermittlungstaktischen Gründen" oft nicht veröffentlicht. Die Hoffnung: Verdächtige verraten sich beim Verhör mit "Täterwissen". Ähnliches Prinzip nun bei der Landschildkröte: Nur wer das Tier, dem die Polizei diffus "besondere Merkmale" bescheinigt, treffend beschreiben kann, ist als rechtmäßiger Besitzer überführt und darf das ausgebüxte Reptil mit nach Hause nehmen.

Den Zuschlag bekommt der mit dem profundesten Täterwissen.

© SZ vom 14.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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