Mitten in Gelbenholzen:So fern und doch so nah

Von Indien nach Gelbenholen in unter einer Sekunde. Die neuen Medien machen es möglich.

Von Karl-Wilhelm Götte

Wahlen bei Vereinsversammlungen sind ein eingespieltes Prozedere. Die zumeist mühsam gesuchten Vorstandskandidaten versammeln sich mit den Mitgliedern in einem Raum und es wird von Angesicht zu Angesicht über den Bewerber abgestimmt. Bei der Herbstvollversammlung des Kreisjugendrings staunten besonders die älteren Delegierten nicht schlecht, als Tobias Vogl plötzlich in einem Video auf der Leinwand auftauchte. "Ich bin gerade in Indien", redete Vogl los und bewarb sich per Video für das Vorstandsamt im Kreisjugendring. Dass er nicht persönlich anwesend sein konnte, lag auf der Hand. Die reiferen Ehrenamtlichen raunten hier und da, aber man spürte auch, dass sie erst einmal Indien und die umgehend anstehende Wahl vor Ort im Kopf zusammenbringen mussten. Die jungen Anwesenden, Kinder und Jugendliche der digitalen Welt, verzogen keine Miene. Dass sich jemand per Video meldet, schien für sie ganz normal zu sein. Skypen funktioniert ja auch nicht anders: Der Gegenüber ist nicht anwesend, auf dem Bildschirm aber doch vor Ort.

Das Video hatte Vogl offenbar noch vor seiner Abreise nach Asien aufnehmen lassen. Es war dramaturgisch durchdacht. Drei-, viermal schob Vogl seinen Kopf von der Seite oder von unten ins Bild. Das wirkte originell. Dann redete er über sich: "Ich bin 18 Jahre alt, komme aus Fürstenfeldbruck, habe im Frühjahr Abitur gemacht und bin für zwei Monate nach Indien gereist." Die Vita des sympathisch wirkenden jungen Bewerbers überzeugte die Delegierten. Vogl erzählte, dass er schon seit fünf Jahren in der evangelischen Jugend tätig ist. Was er alles neben seinem G8-Kompaktabitur gemacht hat, ist bemerkenswert. So arbeitet er auch als Lichttechniker bei der Neuen Bühne Bruck. Etwa zwei Minuten dauerte das Bewerbungsvideo. Vogl kündete noch an, dass er als KJR-Vorstandsmitglied "jungen Flüchtlingen Halt geben will" und dass er im Oktober 2016 Medientechnik studieren wird. Direkte Nachfragen der Delegierten an den Kandidaten konnte es nicht geben. Die Versammlung gab sich mit der einseitigen Kommunikation zufrieden und honorierte die Art der Bewerbung noch mit Applaus. Die prompte, fast einstimmige Wahl in den Vorstand folgte. Eine Kandidatenwahl in Abwesenheit ist nichts Neues. Der KJR hat die Messlatte aber jetzt hoch gelegt. Eine Wahl ohne Bewerbervideo, wenn man auf Reisen ist, kann es nicht mehr geben.

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