Mitten in Fürstenfeldbruck:Trügerische Erinnerungen

Das einstimmige Votum für den Kreis-Haushalt war doch keine Premiere

Von GERHARD EISENKOLB

Auch ein politisches Gremium wie ein Kreistag entwickelt im Laufe vieler Sitzungen ein Eigenleben, das über alle Gräben, Meinungsverschiedenheiten und Streitereien hinweg zusammenschweißt und eine eigene Kreistagsidentität stiftet. Wie in der Jahresabschlusssitzung zu erleben war, gehört dazu auch die Entwicklung eines kollektiven Kreistagsgedächtnisses, das wie eine höhere Instanz wirkt und wie ein Virus selbst distanzierte Journalisten infizieren kann. Nur, auch das zeigte sich bei der Sitzung und beim gemeinsamen Jahresessen, können solche Erinnerungen - auch wenn sie Politiker aller Couleur einmütig teilen - sehr trügerisch sein. Eine falsche Erinnerung bestätigte letztlich nur eines: Es darf nicht sein, was nicht zum kollektiven Bild von der Arbeit im Kreistag passt, das man sich im Laufe der Jahre mühevoll in stundenlangen Sitzungen angeeignet hat.

Das falsche Bild oder gemeinsame Vorurteil bestand in dem konkreten Fall in der Annahme, dass es mindestens immer einen Kreisrat oder eine Fraktion geben haben muss, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten gegen einen Haushalt von Landrat Thomas Karmasin gestimmt hatte. Dieser Überzeugung waren der Landrat selbst, der enge Kreis seiner Mitarbeiter, aber auch Mitglieder aller Fraktionen. Angesichts dieser Selbsttäuschung waren bei allen die Freude und der Jubel über eine bisher einzigartige Konstellation umso größer und damit auch umso identitätsstiftender. Zu diesem Phänomen passte, dass sich diese trügerische Erinnerung umso tiefer und fester ins Gedächtnis eingegraben hatte, je länger jemand dem Kreistag angehörte - und es gibt Politiker, die dort schon seit mehr als 36 Jahren Haushalte angenommen oder abgelehnt haben. Dabei hatte eine Redaktionskollegin angesichts des einstimmigen Haushaltsbeschlusses sofort ein Déjà-vu-Erlebnis. Sie erinnerte sich daran, dass sich Karmasin bereits im Jahr 2009 über einen einstimmig beschlossenen Haushalt gefreut hatte. Nur passte dieses Ergebnis nicht zum kollektiven Selbstverständnis der Kreisräte und wurde vielleicht deshalb weder im individuellen noch im kollektiven Gedächtnis abgespeichert.

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