Mitten in Fürstenfeldbruck:Debatte 2.0 im Rathaus-TV

Liveübertragungen aus den politischen Gremien - ob das Einschaltquoten bringt?

Kolumne von Stefan Salger

Mit Sitten und Gebräuchen ändern sich Medienlandschaft und Medienkonsum. In der guten alten Zeit, die wir selbst noch in vollen Zügen genießen durften, gab es verlockende Autokinos. Filme ab 16 oder 18 durfte man im Mofaalter noch nicht sehen. Aber ambitionierte Schwarzseher lehnten ihr Gefährt draußen an die Kinomauer, stiegen auf den Sattel und genossen Action-Blockbuster oder notfalls "Auf-der-Alm-gibt's-sehr-wohl-a-Sünd"-Streifen - als Stummfilm, was den Genuss mangels tiefschürfender Inhalte nicht schmälerte. Durfte man zu Hause mal länger aufbleiben, konnte man jenseits von Bonanza oder Flipper auch mal einen Krimi oder Aktenzeichen XY gucken. Einzige Alternative: In die nächste Videothek pilgern - oder in Ermangelung eines dieser neumodischen Abspielgeräte zu einem Kumpel, der sturmfrei hatte und den Schlüssel zum elterlichen Giftschrank mit all seinen VHS-Schätzen für Erwachsene. Deren FSK-Altersangabe (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft) wurde bestenfalls als Gütesiegel wahrgenommen. Heute lockt man mit solchen Schätzen keinen Teenager mehr. Sie sind ebenso verschwunden wie die frisierten Mofas von den Straßen. Alles passiert "on demand", per Mausklick. Ungefiltert streamen Jugendliche auf Youtube die neuesten Movies. Das kostet nichts und Altersbegrenzungen werden lässig überschritten.

Weil pubertierende Pickelgesichter von heute ihr Kreuzchen morgen an der richtigen Stelle setzen sollen, versuchen Politiker, es Youtube und Co. nachzumachen. Unter der Überschrift der nach jugendlichem Sturm und Drang klingenden "Informationsfreiheitssatzung" kamen jüngst in einem Brucker Fachausschuss Visionen von gestern auf den Tisch. Claudia Calabrò von der SPD erinnerte an ihren vor Jahren eingebrachten Antrag, Liveübertragungen von Stadtratssitzungen zu prüfen. Kollegin Alexa Zierl freut sich schon: "Dann könnte ich mir die Sitzung des Umweltausschusses reinziehen - echt cool."

Hm. Ehrlich gesagt wünscht man sich für künftige Sendungen aus der Reihe Endlosdebatte 2.0, die im Rathaus-TV ausgestrahlt werden, mindestens eine FSK 90. Bis man dieses Alter erreicht hat, ließe sich die Zeit spannender gestalten - notfalls wäre man bereit, mal wieder aufs Mofa zu steigen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: