Mit Gstanzln und Gitarre:Verdrängte Geschichte

Michael Lerchenberg und die Wellbappn erzählen von 1918 und lassen die SPD schlecht aussehen

Von Peter Bierl

Albert Einstein sandte umsonst ein Telegramm. Der berühmte Physiker hatte an die neuen Machthaber in München appelliert und um Gnade für die Gefangenen, insbesondere für Gustav Landauer, gebeten. Der Schriftsteller wurde am 2. Mai 1919 von Freikorps-Soldaten in Stadelheim brutal misshandelt und ermordet. Einem Zeugen zufolge, schob man ihm ein Gewehr in den After und entleerte das ganze Magazin. Die Ereignisse bilden den grausigen Schluss der Geschichte vom "Roten Bayern", dem neuen Programm des Schauspielers Michael Lerchenberg und der Musikergruppe "Wellbappn" über die Novemberrevolution. Mehr als 350 Zuschauer folgten aufmerksam am Freitag der Premiere in der Turnhalle der Pestalozzi-Förderschule in Fürstenfeldbruck.

Bruck: DAS ROTE BAYERN - Lesung mit Michael Lerchenberg + Hans Well

Michael Lerchenberg, Jonas, Tabea, Hans und Sarah Well mit ihrem Programm "Rotes Bayern".

(Foto: Johannes Simon)

Lerchenberg las die Texte souverän, Erinnerungen von Oskar Maria Graf und Martha Feuchtwanger, von Erich Mühsam und Ernst Toller, Proklamationen und Reden, Zeugnisse der Gegenseite, etwa des nationalistischen Historikers Karl Alexander von Müller, später Mitglied und Funktionär der NSDAP, von Ludwig Thoma, der sich freute, dass in Bayern mit hergelaufenen Juden so aufgeräumt wurde wie in Preußen. Die Wellbappn trugen Gstanzl vor zur Melodie des Räuber-Kneißl-Liedes, die Etappen jenes halben Jahres der Räterepublik schildern. Beifall gab es für das Zitat von Landauer, der als Volksbeauftragter für Erziehung verkündet, Hausaufgaben seien "Prämien für faule Lehrer". Das "Schulelied" von ihrer CD, das Sarah, Tabea, Jonas und ihr Vater Hans Well gekonnt vortragen, passt und ist so eingängig wie Mühsams Spottlied vom revoluzzenden Lampenputzer, mit dem sich der Schriftsteller über die biedere Sozialdemokratie lustig gemacht hatte.

Der erste Teil des Programms ist jenem unblutigen Anfang der Revolution in Bayern gewidmet, mit komischen und kuriosen Episoden, als König Ludwig III., genannt der Millibauer, einfach weggeschickt wurde, und sein Kammerdiener später noch Unterhosen aus der Residenz abholen durfte. Oder ein Sozi meinte: "Mach' ma hoit a Revolution, damit a Ruah is." Schon da kommt die SPD ganz schlecht weg. Verdientermaßen, denn die Partei hatte den deutschen Angriffskrieg unterstützt und die Revolution im Bündnis mit der Reaktion niedergeschlagen. Ihre chauvinistische Führung um Erhard Auer, Friedrich Ebert und Gustav Noske, der sich selbst zum Bluthund ausrief, verschaffte den alten Mächten 1918/1919 genug Rückendeckung, um sich neu zu formieren und jene Freikorps aufzubauen, aus denen SA und SS hervorgehen sollten. Lerchenberg liest aus Dokumenten vor, wie die Sozis bremsen, lavieren und paktieren und Auer dem Mörder Kurt Eisners noch durch seine Tochter Blumen schicken lässt.

Letztlich scheiterten alle Fraktionen der Linken. Die SPD versumpfte beim Marsch durch die Institutionen, die sanften libertären Sozialisten und Anarchisten um Eisner, Landauer und Mühsam wurden massakriert, Lenin war schlauer, die Bolschewiki setzten sich mit eiserner Faust durch - und etablierten eine neue, monströse Diktatur. Als sich der Ring um München schon schloss, verhinderten die Kommunisten einen Putsch am Palmsonntag. Die KPD war zu diesem Zeitpunkt noch nicht jene stalinistische Kadertruppe. Wie zuvor Rosa Luxemburg in Berlin warnten auch einige bayerische Kommunisten vor dem Aufstand, verhielten sich aber solidarisch und bezahlten dafür mit ihrem Leben.

Das grausame Ende setzen die Wellbappn gekonnt um. Ein Marschlied der Freikorps begleiten die Musikanten mit dem Wetzen von Messern und Schleifen von Sensen: "Hakenkreuz am Stahlhelm/Schwarz-weiß-rote Band/die Brigade Ehrhardt/ werden wir genannt." "Wir schlagen alles klein/wehe Dir, oh wehe Dir/Du Arbeiterschwein." Das folgende traditionelle Schunkellied von der ewigen "Münchner Gmiatlichkeit", hier eine Metapher für die Friedhofsruhe, ist als Zuhörer kaum auszuhalten.

Man möchte dieser eindrucksvollen und ansprechenden Aufklärung über ein verdrängtes Stück bayerischer Geschichte viele Zuhörer wünschen. Allerdings sollten die Künstler das Programm straffen, weit mehr als zwei Stunden sind zu viel. Getrost weglassen ließe sich die Parodie von den dummen Kälbern, die Brecht 1944 auf das Horst-Wessel-Lied verfasste. Die Metapher des Dichters ist falsch. Es waren nicht die Opfer, die den Hakenkreuzfahnen in "ruhigem, festen Tritt" folgten, sondern die Metzger selbst, samt Kollaborateuren und Mitläufern.

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