Maßnahmen auf regionaler Ebene:Mehr Tempo beim Klimaschutz

Der Bevölkerungszuwachs im Landkreis verhindert Einsparungen beim Energieverbrauch. Eine Studie fordert deshalb, mehr für die Energiewende zu tun. Bloß wie?

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

"Wir müssen uns am eigenen Schlips packen und Maßnahmen auf regionaler Ebene aufbauen", sagt Ulrich Bünger eindringlich. Er ist Senior Scientist bei der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik aus Ottobrunn, die für den Landkreis Fürstenfeldbruck eine Expertise zur Energie- und CO₂-Bilanz ausgearbeitet hat. Das Fazit: Die Energiewende, also die vollständige Versorgung durch erneuerbare Energien, ist bis 2030 - wie sich der Landkreis das im Jahr 2000 vorgenommen hat - nicht mehr zu schaffen. Auch das Ziel des Bundes, die Treibhausgase bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, wird verfehlt werden. Gleichwohl, und dahin ging Büngers Appell, ist entschlossenes Handeln hin zu einem sparsameren Umgang mit Energie und weniger Schadstoffemissionen dringend geboten. Die Studie fordert den Landkreis auf, deutlich stärkere Anstrengungen und Maßnahmen zum Klimaschutz zu unternehmen als bisher.

Der Landkreis diskutierte die Ergebnisse der Studie bereits im Kreisausschuss. Nun stellte er sie als Zwischenbilanz zur Energiewende in einer zweistündigen Veranstaltung mit Podiumsdiskussion einer größeren Öffentlichkeit vor. In den großen Sitzungssaal im Landratsamt kamen etwa 70 Interessierte: Bürgermeister, Kreispolitiker, Verbandsvertreter, Bürger. Man habe ja ohnehin kein Erkenntnisproblem, sagt Landrat Thomas Karmasin (CSU), sondern eines der Umsetzung. Die für den Landkreis erarbeitete Zwischenbilanz lasse ihn aber daran zweifeln, "ob wir das Richtige tun". Mit herkömmlichen Mitteln komme man nicht weiter, denn "neue Maschinen brauchen wieder neuen Strom".

Die Aussagen des Landrats klingen pessimistisch. Dabei gebe es gerade im Landkreis Fürstenfeldbruck hervorragende Rahmenbedingungen, sagt Martin Zerta von der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik der SZ. Zerta hat einen guten Überblick, weil er auch Kommunen aus anderen Kreisen kennt. Er sieht Fürstenfeldbruck "in einer Vorreiterrolle", die Akteure zeichne ein "sehr starker Zusammenhalt" aus. Städte und Gemeinden zeigten sich durchaus interessiert am Thema, sagt Zerta. In die Energiebilanz flossen Daten sämtlicher 23 Städte und Gemeinden ein, für 14 Kommunen gab es noch eine detailliertere Auswertung.

Eichenau: Serie ENERGIEWENDE / Katholische Pfarrei mit Ludger Grage + Michael Kneip

Alternative Energieerzeugung: Fachleute raten unter anderem, die Kraft der Sonne zu nutzen, wie hier in Eichenau.

(Foto: Johannes Simon)

Zerta rät dringend, die interkommunale Kooperation zu intensivieren. Dass Kreis und Kommunen die Energiewende durch eigenes Handeln stärker fördern sollen, wie er in der Studie schreibt, sieht auch Werner Zauser so: "Bei den erneuerbaren Energie liegt der Ball auf dem Spielfeld der Kommunen." Der Windkraftexperte und Gemeinderat aus Mammendorf zeigt, dass 2017 in Mammendorf Windräder, Biogasanlagen und Fotovoltaik 35 Millionen Kilowattstunden Strom lieferten. "Es geht schon was vor Ort, wenn Kommunalpolitiker und Bürger sich zusammentun", findet Zauser und redet einem intensiven Dialog mit den Bürgern das Wort: "Da müssen wir mehr einsteigen. Im Jahr 2000 hatten wir noch eine Aufbruchstimmung, jetzt ist nicht mehr so viel davon zu spüren." Man müsse die Menschen beteiligen bei neuen Anlagen, dazu brauche man ein neues kommunales Planungsrecht, denn "es gibt jede Menge Standorte für Windräder unterhalb 10 H".

Der Vorgabe der bayerischen Staatsregierung aus dem Jahr 2014, wonach der Abstand eines Windrads zur Wohnbebauung das Zehnfache seiner Höhe betragen muss, wird unterstellt, dass sie die Windkraftplanungen weitgehend zum Erliegen gebracht hat. Doch keine Gemeinde werde daran gehindert, einen entsprechenden Bebauungsplan aufzustellen, kontert Karmasin. Viele Kommunen hätten es sich mit der 10-H-Regel leicht gemacht und behauptet, es sei nichts mehr möglich, kritisiert auch Maisachs Bürgermeister Hans Seidl (CSU). Seine Gemeinde habe den Bürgern im vorigen November die Planung von Rotoren auf Gemeindeflur vorgestellt, die die 10-H-Vorgabe nicht erfüllen. Zwei Standorte seien im Gespräch, sagt Seidl später der SZ, genauer nennen will er sie noch nicht. Energieerzeugung vor Ort sei wichtig, sagt Seidl: "Wir müssen uns so aufstellen, dass wir im Landkreis autark sind. Die regionale Versorgung ist die sicherste und beste Grundlage für nachfolgende Generationen." Dafür gibt es von den Besuchern Applaus.

Seidl wirkt zuversichtlich. Er sehe die Erkenntnisse der Studie "als Motivation zum Aufbruch". Auch hält er eine Rückbesinnung auf alte Dorfstrukturen für sinnvoll. Die könnten verhindern, dass zu viel gependelt werden muss und noch mehr Individualverkehr entsteht. Dieser steigt beständig an und mit ihm auch Kraftstoffverbrauch und CO₂-Emissionen. Und so empfiehlt die Studie dem Landkreis, beispielsweise neue Gewerbeflächen oder Einkaufszentren zu vermeiden, die nur mit dem Auto zu erreichen sind.

Hermann Seifert, Fachmann für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) im Brucker Landratsamt, plädiert für eine ganzheitliche Betrachtungsweise: "Wir müssen verschiedene Verkehrsformen vernetzen und tariflich attraktiv machen" - Busse, Leihrad, Carsharing, auch Fußwege. Und man brauche "eine Mobilitätskarte, mit der alles zu bezahlen ist". Dafür seien die Echtzeitinfo, die es schon gibt, ein Entfernungstarif und die Tarifstrukturreform wichtige Voraussetzungen. 60 Prozent aller Fahrten im Landkreis würden indes nicht für den Beruf, sondern in der Freizeit oder zum Einkaufen unternommen - ein Aspekt, der "bisher nicht so im Fokus stand", weiß Seifert. Man solle nicht auf das E-Auto warten, empfiehlt Werner Zauser, denn "das E-Bike wird sich durchsetzen". Deshalb lehnt er auch den Bau von Radschnellwegen nach München ab: "Das werden nur Exoten nutzen." Das Radfahren müsse man stattdessen in den Gemeinden einfacher machen, was "Zumutungen für Autofahrer" bedeute.

Burkhard Hüttl von der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) räumt ein, dass der ÖPNV "schon lange an der Kapazitätsgrenze" sei. Er betont die Notwendigkeit weiterer Bustangenten, die auch Menschen aus dem Kreis Fürstenfeldbruck beispielsweise zu ÖPNV-Anschlussstellen in den Münchner Norden bringen könnten. Der öffentliche Nahverkehr muss bei wachsendem Zuzugsdruck immer mehr Personen befördern. "Überlegt man denn, den Druck aus München rauszunehmen?", fragt deshalb der Germeringer Jürgen Wrede, der im Publikum sitzt. Hans Seidl macht ihm wenig Hoffnung: "Den Druck können wir nicht wegnehmen. Es ist menschlich, dorthin zu gehen, wo man die besten Lebensbedingungen vermutet."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: