Gedenk-Lesung für KZ-Opfer:Bleischwere Worte

Lesung Grafrath

Schwarze Milch der Frühe: Gedenk-Lesung in Marthashofen von mit Michaela Stögbauer und Rolf Parchwittz.

(Foto: Günther Reger)

Grafrather Literatur-Veranstaltung setzt eindringlichen Schlusspunkt des Erinnerns an einen ukrainischen Zwangsarbeiter.

Von Edith Schmid, Marthashofen

Mit den letzten Worten der Lesung "Schwarze Milch der Frühe", Literatur aus dem Lager, macht sich eine betroffene Stille im Dachgeschoss von Marthashofen breit. Kein Applaus. Zu eindringlich hallen die Worte nach, die die beiden Schauspieler Michaela Stögbauer und Rolf P. Parchwitz soeben vorgetragen haben, unterstützt von dem einfühlsamen Klavierspiel von Monika Stöhr. Es ist der letzte Akt einer jahrelangen Recherche der Journalistin Simone Schmid über den Tod des jungen ukrainischen Zwangsarbeiters Wassyl Zhhyhalük, der in einem Außenlager des KZ Flossenbürg ums Leben kam. Beides, die Verlegung eines Stolpersteines vor dem Rathaus Grafrath und die Lesung sollen ein Zeichen der Versöhnung und Besinnung sein. Der Neffe des jungen Zwangsarbeiters und dessen Sohn sind extra angereist, um dieses Gedenken an ihren ermordeten Verwandten mitzuerleben. Ihre Deutschkenntnisse sind zwar spärlich, aber sie haben mit dem Herzen verstanden. Sie erheben sich als Zeichen der Dankbarkeit. Diese Geste gilt Simone Schmid und auch Deutschland.

Der Regisseur Parchwitz hat für den Vortrag drei verschiedene Texte miteinander verwoben. Das Gedicht "Schwarze Milch der Frühe" stammt aus der Todesfuge von Paul Celan. Es rahmt die Lesung in Marthashofen ein, es hält sie in seiner eindringlichen Wiederholung vielmehr umklammert wie ein eisiges, gefühlskaltes, todbringendes Korsett. Immer wiederkehrend ist der Tod, der Meister aus Deutschland, ein Hort der Bestien, ohne Menschen. Dazwischen wechseln sich Verhörprotokolle ehemaliger Nazigrößen und heimliche Tagebuchprotokolle ab. Die Protokolle hat der jüdisch stämmige 1939 nach Schweden emigrierte Dramatiker Peter Weiß verfasst. Er selbst nannte den Theatertext das "Auschwitz Oratorium" und thematisiert darin den ersten Frankfurter Auschwitzprozess. Die Antworten auf gezielte Anklagen ähneln sich auf erschreckende Weise. "Ich habe von nichts gewusst, ich war nicht befugt, ich habe nichts bemerkt." Ganz die unbefleckte, anständige Unschuld, die allenfalls mit Widerwillen Grausamkeiten beobachtet hat.

Edgar Kupfer-Koberwitz landete als Nichtjude im KZ Dachau und hat dort unter Lebensgefahr seine Eindrücke und Erlebnisse notiert. Er hat die Zettelchen in Ölpapier verpackt, vergraben und später veröffentlicht. Die heimlichen Tagebuchnotizen sind der Part, der an diesem Nachmittag am eindringlichsten unter die Haut geht. Was macht die gestreifte Kleidung, der kahl geschorene Kopf eigentlich aus einem Menschen? fragt sich der Autor. Die Antwort, einen unglücklichen Clown, ist die Art von Galgenhumor mit dem sich die Häftlinge seelisch über Wasser hielten. So wie sie auch den sichersten Weg in die Freiheit in der Entlassung durch den Schornstein des Krematoriums sahen. Die Berichte über die Schikanen sind schon schwer auszuhalten, aber besonders perfide wird es, wenn die Henkersknechte die Häftlinge dazu zwingen, ihre Handlanger zu sein und Mithäftlinge zu peinigen.

Da macht die Verrohung selbst vor den Häftlingen nicht halt und weckt den Wunsch, zum Mörder zu werden. Trotz all der Grausamkeiten finden sich in den Aufzeichnungen beinahe poetische Passagen. Sie fühlen sich aber keinesfalls befreiend an, eher bedrückend. Während einer barbarischen Züchtigung mit dem Ochsenziemer flattert und schreit ein aufgescheuchter Vogel und lässt sich nicht verscheuchen. Eine andere Szene schildert das notdürftige Abspritzen beim Leichenwaschen in Dachau. Die sehr leichten auf dem Betonboden hingeworfenen Körper erinnern den Autor an duftende Blumen, die verwelken.

Als Zuhörer ist man bei dieser Lesung doch ein wenig froh darüber, dass wegen der Sprachbarriere den Verwandten des Ermordeten die Details erspart bleiben. Sie haben mit der Verlegung des Stolpersteins und der abschließenden Lesung ihren Frieden finden können. Die Spenden, um die Maria Leitenstern-Gulden als Veranstalterin gebeten hatte, es kamen 345 Euro zusammen, sind nur ein kleiner Beitrag, um den Kredit für die Reise der beiden Ukrainer abzudecken, aber eine weitere versöhnliche Geste.

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