Lehrlingsmangel:"Wir benötigen Betriebe mit Sozialkompetenz"

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Schreinermeister Harald Volkwein, Jahrgang 1952, ist seit November 2014 Vorsitzender der Kreishandwerkerschaft. (Foto: Günther Reger)

Kreishandwerksmeister Harald Volkwein möchte junge Flüchtlinge schneller integrieren, indem sie ausgebildet werden. Das setzt aber voraus, dass die Handwerker auch mitmachen. Im SZ-Interview erklärt er, wie schnell da Grenzen erreicht sind

interview Von Erich C. Setzwein, Gröbenzell

"Die Aufgabe, junge Flüchtlinge in Ausbildung zu bringen, ist eine Verpflichtung, die uns alle bewegt" - mit diesen Worten hat der Münchner Handwerkskammerpräsident Georg Schlagbauer unlängst die Betriebe zur Mithilfe aufgefordert. Auch im Landkreis sehen sich Handwerksfirmen verpflichtet, ihren Beitrag zu leisten, sagt Kreishandwerksmeister Harald Volkwein aus Gröbenzell. Denn je schneller den jungen, oft unbegleiteten Flüchtlingen mit Ausbildung und Arbeit geholfen werden, desto schneller würden sie integriert. Ganz im sinne Schlagbauers, der fordert: "Wir dürfen diese Menschen nicht sich selbst überlassen." Im Interview mit der Fürstenfeldbrucker SZ erläutert der Brucker Kreishandwerksmeister die aktuelle Lage auf dem Lehrstellenmarkt und die besondere Situation junger Asylbewerber.

SZ: Die Handwerksbetriebe im Landkreis haben ihre freien Ausbildungsplätze ausgeschrieben, doch es fehlen noch die Bewerber dafür. Angesichts immer höher werdender Übertrittsquoten bleiben offenbar zu wenige Schulabsolventen fürs Handwerk übrig. Geht das so weit, dass einzelne Gewerke gefährdet sind?

Volkwein: Die Ausbildungsbetriebe haben den Mangel erkannt und tun etwas. Derzeit sehe ich kein Handwerk als so gefährdet an, dass es aussterben würde. Es ist aber festzustellen, dass die Ausbildung im Handwerk kein gutes Image mehr hat. An dem müssen alle Betriebe dringlichst arbeiten. Tatsächlich ist es aber so, dass eine handwerkliche Ausbildung anderen durchaus gleichwertig ist. Der Lehrling lernt drei Jahre lang, bleibt danach zwei bis drei Jahre im Betrieb oder sich noch zwei oder drei andere Betriebe anschaut, dann die Meisterschule macht, ist er mit 25 oder 27 Jahre Meister und kann sich selbständig machen. Ein Student wird auch erst in diesem Alter fertig. Dazu kommt, dass ein Meister auch noch studieren kann. Das wissen viel zu wenige Eltern, das ist der Bevölkerung gar nicht so bewusst. Ich sehe die Ausbildung im Handwerk und ein Studium als gleichwertig an, es ist nur ein anderer Weg.

Welche Ursachen hat dieses Desinteresse?

Es ist sicherlich so, dass es gerade zu Beginn eine schlechtere Bezahlung im Handwerk gibt. Dann die Vorstellung davon, dass man als Metzger mit Blut zu tun hat, dass der Arbeitsplatz für Maurer dauernd kalt und schmutzig ist. Dazu kommt, dass vor Jahren schon die Ansprüche nach unten gingen, als man weniger qualifizierten Schülern vorgeschlagen hat: Dann lernst halt ein Handwerk. Das hat dem Image unserer Ausbildung geschadet. Das hat sich aber grundlegend geändert. So benötigen wir an einem Bearbeitungszentrum für eine halbe Million Euro einen fähigen Mitarbeiter, der geschickt ist, der Mathe gut drauf hat, um so ein Gerät zu bedienen. Umfragen belegen uns, dass 56 Prozent der Bundesbürger den Schreiner noch als Handwerker erkennen, bei den Metzgern und Bäckern sind es nur jeweils 17 Prozent der Befragten, die wissen, dass dies Handwerksberufe und keine industriellen Berufe sind. Ich ziehe die Schlussfolgerung, die auch Bauernobmann Johann Drexl kürzlich gezogen hat: Wir müssen Botschafter für unseren Berufsstand sein.

Als Kreishandwerksmeister haben Sie bereits im vergangenen Jahr angekündigt, Flüchtlinge ausbilden zu wollen, um einerseits die Integration zu fördern und andererseits in manchen Gewerken die Lehrlingsnot zu lindern. Dafür müssten die Handwerker aber sehr viel mehr Zeit und Aufmerksamkeit investieren, da es allein schon Sprachprobleme gibt. Warum glauben Sie, dass das die Ausbildungsbetriebe jetzt tun, wo doch in den vergangenen Jahren bei potenziellen einheimischen Lehrlingen stets die Rede davon war, dass die Betrieb gerade nicht die Zeit hätten, Defizite von Schule und Elternhaus auszugleichen.

Ich habe als Kreishandwerksmeister einen Perspektivwechsel in der Personalpolitik vorgenommen. Wie ich gesehen habe, auf welchen Wegen, zum Beispiel die Anwerbung im spanischen Almuñecar, die Betriebe versuchen, an Personal zu kommen, hat mich das nachdenklich gestimmt. Da wurde von Anwerbung gesprochen, von Deutschkursen und Integration. Das war mir nicht recht. Denn die einen holen wir her und die anderen, also die Flüchtlinge sind schon da. Manche vergessen das, aber wir hatten das doch alles schon. Als die Flüchtlinge aus dem Kosovo hier waren, zum Beispiel. Die haben wir auch ausgebildet. Es ist doch so: Je eher wir die Flüchtlinge eingliedern, zum Beispiel mit einer Berufsausbildung, desto eher sind sie heimisch, fühlen sich wohl und sind integriert. Dazu kommt, je eher ich einen Flüchtling als Mitarbeiter einstelle, desto eher ist er auch aus der Soziallast raus. Ich habe das dann in verschiedenen Gesprächen erwähnt und ein Mit- und Umdenken ausgelöst.

Welche Lösung streben Sie dabei an?

Beim jüngsten Berufsinfomarkt haben sich Kreishandwerkerschaft und Vertreter des Arbeitskreises Schule-Wirtschaft zusammengesetzt und einige Überlegungen angestellt. Dabei sind wir ganz schnell an Grenzen gestoßen, von der Alphabetisierung über das Bleiberecht bis hin zu Betriebspraktika. Es ist ein Wust an Fragen und Problemen aufgetaucht, der nun beantwortet, geregelt und organisiert wird, unter anderem in Zusammenarbeit mit dem Landrat. Wir haben derzeit 16 junge Flüchtlinge, die in der Berufsschule Deutsch lernen, und ich denke mir, dass wir bei 3500 Handwerksbetrieben im Landkreis diese 16 doch irgendwie unterkriegen sollten.

Das klingt aber nur verhalten optimistisch.

Wir benötigen dafür Betriebe mit einer gewissen Sozialkompetenz. Die gibt es und die legen Wert auf eine gute Ausbildung. Freilich gibt es auch Betriebe, die die Auszubildenden ausnutzen und zulassen, dass der Lehrling zwar seine Prüfung mit einem Vierer besteht, aber nicht wirklich eine gute Ausbildung bekommen hat. Wir bräuchten Betrieb, die aus humanitären Gründen ausbilden. Das heißt, dass junge Flüchtlinge zwei Jahre lang qualifiziert werden sollten, um sie in einem Beruf ausbilden zu können. Kleinbetriebe sind dazu aber leider nicht in der Lage. Ich weiß auch nicht, ob wir als Handwerksbetriebe die jungen Leute überzeugen können, bei uns eine dreijährige Ausbildung zu machen, wenn sie in anderen Bereichen für 8,50 Euro Mindestlohn auch ohne Ausbildung arbeiten können, in einer öffentlichen Einrichtung kostenlos untergebracht sind und einen Teil ihres Lohns in die Heimat schicken.

© SZ vom 28.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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