Landgericht:Verhängnisvolle Beziehung zu einem Mädchen

29-Jähriger muss sich wegen mehrfachem Kindesmissbrauch verantworten. Im Prozess sagt das mögliche Opfer nur wenig

Von Florian J. Haamann, Germering/München

Viele Übereinstimmungen gibt es nicht in den Geschichten der Zeugin und des Angeklagten. Eigentlich ist am Ende des ersten, zugleich unübersichtlichen wie bedrückenden Prozesstages vor dem Münchner Landgericht nur eines gewiss: Im Zentrum der Geschichte steht ein Laden am Germeringer Bahnhof, in dem der 29-jährige Angeklagte beschäftigt war. Dort haben die beiden, ja was eigentlich?

Nach Aussage des Angeklagten hat er das damals zwölfjährige Mädchen im Juli 2016 vor dem Laden gesehen, wie sie sich geritzt hat. Er habe sie angesprochen und ihr geraten, mit ihren Eltern oder der Polizei zu sprechen. Danach habe man sich nur noch ein weiteres Mal gesehen. Für etwa drei Minuten am Münchner Hauptbahnhof. In der Version des Mädchens dagegen hatten die beiden eine Beziehung in der es auch mehrfach zum Geschlechtsverkehr gekommen ist. Zumindest hat sie das vergangenen November bei der Vernehmung durch eine Richterin gesagt. Sollte das stimmen, droht dem Angeklagten eine Verurteilung wegen elffachem schwereren sexuellen Missbrauchs von Kindern.

Und weil dieser Vorwurf wahrlich kein Kavaliersdelikt ist, fand die vorsitzende Richterin Regina Holstein schnell klare Worte, als das Mädchen in der Hauptverhandlung außer "keine Ahnung" und "normal" kaum etwas sagte. Weder zu ihrem Leben noch zu den Geschehnissen mit dem Angeklagten. Die Richterin erklärte ihr in strengem Tonfall, dass sie aussagen müsse und dass die ganze Runde dafür notfalls auch bis Mitternacht darauf warten werde. Doch auch das half nichts und Holstein wurde noch deutlicher: Sie glaube dem Mädchen nicht, dass es ihr gut gehe und sehe sich im Sinne ihrer Fürsorgepflicht fast schon gezwungen, das Jugendamt einzuschalten. Aber auch damit kam sie nicht weiter, das Mädchen blieb bei ihren einsilbigen, fast geflüsterten, immer gleichen Antworten. Als die Zeugin dann erklärte, sie würde etwas sagen, allerdings ohne die Öffentlichkeit, wurden die Besucher aus dem Saal gebeten. Allerdings verließ das auch Mädchen wenige Minuten darauf den Raum, so dass davon auszugehen ist, dass sie ihr Verhalten auch danach nicht geändert hat. Daraufhin wurde der Prozess unterbrochen.

Und so warf der Auftritt des jungen Mädchens mehr Fragen auf, als er beantwortete. Zwar erklärte sie mehrmals, dass sie bereits Geschlechtsverkehr gehabt habe und das mit mehreren Jungs. Wie das ganze denn abgelaufen sei? "Normal." Wie es für sie gewesen sei? "Keine Ahnung." Aber irgendwie muss es sich doch angefühlt haben? "Normal." Weil sie keine konkreten Aussagen zu irgendetwas machen konnte oder wollte, fragte die Staatsanwältin ganz direkt: "Bist du noch Jungfrau?" "Nein." Und die Richterin fasste nach: "Hast du das mit dem Angeklagten wirklich erlebt oder erzählst du uns eine Geschichte?" "Ich erzähle keine Geschichte".

Zweifel an der Geschichte bestehen nicht nur wegen der mangelnden Auskunftsbereitschaft. Der Verteidiger beantragte ein psychiatrisches Gutachten des Mädchens, weil er Zweifel an ihrer Gesundheit hat. Nicht nur wegen des Ritzens, sondern auch wegen fehlender Bindung zu den Eltern. Denn das Mädchen war im vergangenen Jahr mehrfach tagelang von Zuhause weggelaufen, musste für einige Monate in ein Heim. Dort hat sie wohl Andeutungen gemacht, dass sie sich etwas antun könnte und wurde zeitweise in eine geschlossene Abteilung verlegt. In ihrer Aussage erklärte die 13-jährige, dass sie zu Hause glücklich sei, Gewalt oder Belästigung gebe es dort nicht. Dennoch ist sie immer wieder abgehauen. Warum? "Weil ich keine Lust hatte, dort zu sein."

Dann kam noch kurz ein anderes Verfahren zur Sprache, ebenfalls wegen sexuellem Missbrauchs an dem Mädchen. In diesem Prozess wurde der Angeklagte verurteilt. Allerdings nur aufgrund seines Geständnisses. Im Urteil hielt der Richter fest, dass mehrere Aussagen des Mädchen unwahr waren.

Bekannt wurde der aktuell verhandelte Fall ebenfalls auf eine kuriose Weise. Im Gespräch mit der Polizei - nachdem die 13-Jährige ausgerissen war -, hatte eine Freundin des Mädchens erklärt, dass es diese Beziehung gebe. In der Vernehmung im vergangenen November, hatte die 13-Jährige dann die Beziehung eingeräumt und erklärt, dass es etwa elfmal zum Geschlechtsverkehr gekommen sei, in beiderseitigem Einverständnis. Viel konkreter wurde sie damals auch nicht. Der Prozess dauert an.

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