Lärmbelastung:Ärger ums Glockengeläut in Fürstenfeldbruck

Schapovalov

Auf Augenhöhe mit dem Kirchturm: Um 7, 12 und 19 Uhr gibt es auf der anderen Straßenseite "das volle Programm" in allen Tonlagen. Alexander Schapovalov steht auf seinem Balkon.

(Foto: Günther Reger)

Am Wochenende fällt Alexander Schapovalov morgens um 7 Uhr fast aus dem Bett - dann rufen die Glocken der benachbarten Kirche Sankt Bernhard minutenlang zum Gebet. In einer Lautstärke, als würde ein Lastwagen durchs Wohnzimmer fahren.

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Ist das Läuten von Kirchturmglocken unabdingbar für die Ausübung des Glaubens oder auch mal eine vermeidbare Ruhestörung? Alexander Schapovalov und einige Mitbewohner neigen der zweiten Antwort zu und reden von einer unzumutbaren Belastung. Damit liegen sie über Kreuz mit Vertretern der Pfarrei Sankt Bernhard.

Dass die Kirchturmglocken wochentags um sieben Uhr minutenlang und durch alle Tonlagen läuten, würde der 56-Jährige ja hinnehmen. Er erwarte keine Friedhofsruhe und müsse ja auch mit dem Straßenverkehr leben. Aber an Samstagen und Sonntagen will er nicht um 7 Uhr aus dem Bett geworfen werden. Aufs sogenannte Angelusläuten um 12, um 19, aber eben auch bereits um 7 Uhr will die Kirchengemeinde freilich nicht verzichten.

Dass Schapovalov kein unbelehrbarer Hypochonder ist, wird bei einem Besuch deutlich. Sein Appartement liegt im dritten Stock - auf Augenhöhe mit dem Kirchturm von Sankt Bernhard, der auf der anderen Seite der Richard-Higgins-Straße steht. "Im Sommer muss man das Schlafzimmerfenster kippen, sonst hat man drinnen 40 Grad", sagt der aus Kiew stammende Funkingenieur. Aus der Arbeit hat er ein Messgerät mitgebracht. Als es um 19 Uhr läutet, zeigt das Display Werte bis zu 72 Dezibel an - das liegt irgendwo zwischen Rasenmäher und vorbeifahrendem Lastwagen.

Rechtlich wirkt die Sache eindeutig: Während für Viertel- und Stundenschlag die normalen Lärmgrenzwerte gelten, genießt liturgisches Glockengeläut einen Sonderstatus. Der Religionsfreiheit misst das Grundgesetz höheres Gewicht bei als dem Ruhebedürfnis. 2010 entschied das Verwaltungsgericht Stuttgart, dass auch das Läuten um 6 Uhr hinzunehmen ist.

Schapovalov macht freilich eine Art Bestandsschutz geltend: Vor der im vergangenen Jahr abgeschlossenen Renovierung habe Sankt Bernhard morgens um 7 Uhr lediglich im normalen Stundenschlag geläutet, also vier Mal für die volle Stunde sowie sieben Mal für die Anzahl der Stunden. Lediglich mittags und abends habe es dann "das volle Programm" mit allen Glocken gegeben. Und während der Renovierung sei in der Früh ganz aufs Läuten verzichtet worden. Seit Weihnachten 2016 habe es dann plötzlich drei Minuten lang geschlagen.

Fehlerhafte Programmierung oder gewolltes Läuten?

Schapovalov rief im Pfarramt an. Dort sei zunächst von einer fehlerhaften Programmierung die Rede gewesen. Beim zweiten Anruf, eine Woche später, sei der Ton schroffer gewesen: Eine Frau habe ihn gefragt, warum er überhaupt hergezogen sei und ob er etwas gegen christliche Religion habe. Schapovalov ist selbst Christ. In die Kreisstadt gezogen sei er in höchster Not - nach zweieinhalb Jahren in einem Keller habe er 1997 die Gelegenheit ergriffen, eine Wohnung in dem neu errichteten Mehrfamilienhaus im Brucker Westen zu ergattern. "Finden Sie heute mal eine Wohnung", sagt Schapovalov und verzieht das Gesicht.

Im Februar wurde er im Pfarramt vorstellig. Da sei ihm beschieden worden, dass das Läuten in Bayern Tradition sei und man das halt machen müsse. Warum aber, fragt Schapovalov, sei ein Verzicht aufs morgendliche Läuten beispielsweise in Grünwald möglich? Irgendwann erhielt der Brucker, der etwa zehn Nachbarn hinter sich glaubt, immerhin einen Anruf, in dem es hieß, es werde morgens nun auf das einminütige Nachläuten verzichtet.

Behörde hatte noch nie Probleme mit Kirchenglocken

Pastoralreferent Johannes Sporrer lässt durchblicken, dass ihm die Sache Sorgen bereitet. Seit gut drei Jahren ist er für Sankt Bernhard zuständig. Ob vor der Renovierung um 7 Uhr weniger geläutet wurde oder nicht, darüber gebe es verschiedene Aussagen. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es da kein Angelusläuten gegeben hat." Einige Menschen hätten sich erfreut darüber geäußert, die Glocken wieder zu vernehmen. Und drei Nachbarn beschwerten sich, darunter Schapovalov - in teils nicht sehr freundlichem Ton. Pfarrgemeinde und Kirchenverwaltung sprachen sich mit großer Mehrheit gegen den Verzicht aufs frühmorgendliche Läuten aus. Ist die Sache für ihn also abgeschlossen? "Nein", sagt Sporrer nachdenklich, "natürlich beschäftigt mich das weiterhin."

Die Untere Immissionsschutzbehörde des Landratsamts hat sich zwar schon mit krähenden Hähnen und anderen ungewöhnlichen Geräuschquellen beschäftigt. Nach Worten einer Sprecherin gab es im Landkreis bislang aber noch nie Beschwerden über zu laute Kirchenglocken.

Update: Die Kirche hat inzwischen beschlossen, die Glocken am Wochenende eine Stunde später läuten zu lassen. Lesen Sie hier die Meldung dazu.

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