Kabarett:Plankton im Meer der Haie

Claus von Wagner

Den Kontakt nach draußen sucht Claus von Wagner alias Klaus Neumann im Stadtsaal.

(Foto: Günther Reger)

Claus von Wagner seziert noch einmal die Finanzkrise

Von Karl-Wilhelm Götte, Fürstenfeldbruck

Finanzkrise? Wann war das denn? Es ist keine leichte Kost, die Claus von Wagner seinem Publikum serviert. Der Kabarettist widmet sich im restlos ausverkauften Fürstenfelder Stadtsaal der acht Jahre zurückliegenden Krise der globalen Finanzmärkte, die auch die sogenannte Realwirtschaft 2008/2009 an den Rand des Kollaps' brachte. Dazu benötigt er den intelligenten Zuhörer. Von Wagner bedient sich dabei der Figur des Klaus Neumann, der im Tresorraum einer Filiale der Deutschen Bank eingeschlossen ist und die Unterlagen seines verstorbenen Vaters durchsieht. Der Vater war Wirtschaftsprüfer gewesen, sein Sohn ebenfalls; er rutschte in die Firma, weil er Sohn war. Der versucht jetzt aus den Papieren seines Vaters einen Skandal im eigenen Unternehmen zu entschlüsseln.

Von Wagners Programm "Theorie der feinen Menschen" ist fünf Jahre alt und wirkt aber nur auf dem ersten Blick, wie aus der Zeit gefallen. Es geht vor allem um Finanzderivate, mit denen die Banken nach wie vor ein Wettbüro veranstalten. "Das ist so", sagt von Wagner, "wie wenn die Deutsche Bank ein Auto ohne Bremsen verkauft und auf den Tod des Fahrers wettet." 700 Billionen Dollar an Derivaten sind laut von Wagner weltweit immer noch unterwegs - ein vielfaches der Weltwirtschaftsleistung. Die Deutsche Bank, die zwölf Prozent aller Derivate halte, dreht nach wie vor ein großes Rad. "Derivate können Spuren von Geld enthalten", formuliert er zum Vergnügen der Zuschauer.

Der Kabarettist, 39, bekanntes Fernsehgesicht der "Heute-Show" und des Kabarettprogramms "Die Anstalt", entlarvt die Wirtschaftswissenschaftler, die die Finanzkrise nicht vorhergesehen haben, aber immer noch Zukunftsprognosen in Kommazahlen abgeben würden. Er erinnert an Bismarck, der einst Wettervorhersagen verboten hatte, weil es nicht sein konnte, dass sich eine Reichsbehörde ständig irrt.

Claus von Wagner arbeitet spieltechnisch auf mehreren Ebenen: Zum einen sitzt er im Tresorraum der Bank, was eine situative Grundspannung erzeugt. Ab und zu hat er Telefonkontakt mit einem Mann, der Araber ist. Das schürt Neugierde auch auf diese unsichtbare Figur. Weiter ist da die Rede, die Klaus Neumann für die Trauerfeier seines verstorbenen Vaters zu schreiben versucht. Dann sind da noch die kriminalistischen Recherchen. Was bedeutet die "Nixe" in Vaters E-Mails? Wer ist dessen Geschäftspartner Dr. Gump? Und dazwischen steht er immer wieder von seinem Stuhl auf und erklärt in wunderbaren Exkursen dem Publikum die Finanzwelt. Das ist brillantes, szenisches Knowhow.

Auch schauspielerisch hat der Kabarettist, der in Miesbach aufgewachsen ist und in München lebt, einiges zu bieten. Der Griff zum Alkohol, das entschlossen-resignierte Entkorken einer Flasche als Antwort auf eine komplizierte Frage zum Finanzwesen, sagt mehr, als alle Worte es könnten. Hier und da gibt es auch aktuelle Bezüge. "Hundert Milliarden für die Banken an einem Wochenende, das geht, aber sieben Milliarden für Flüchtlinge vor Ort geht nicht." Von Wagners Bildungsveranstaltung ist ein ambitioniertes Unterfangen. Haben doch laut von Wagner "56 Prozent der Deutschen keine Ahnung von Finanzen" und sind deshalb leichte Beute von Bankberatern. Sind auch 56 Prozent im Publikum damit überfordert? Genau war das nicht zu erkunden. "Wir sind das Plankton im Meer der Finanzhaie", gibt er den Besuchern noch als Warnung mit auf den Weg.

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