Jexhof als Kulisse:Verwunschene Welt

Im Bauernhofmuseum Jexhof wird derzeit das tschechische Märchen "Vom Smoliček" verfilmt. Regisseurin Barbara Lackermeier von der Neuen Bühne Bruck will ihr Werk beim Kurzfilmfestival in Landshut präsentieren

Von Viktoria Großmann

Am Bauernhofmuseum am Jexhof blüht es. Ferienkinder stehen auf einer Wiese und lauschen einer Erklärung. Ein Mann mit Rucksack fragt einen Mann mit einem Kabel im Ohr, ob man endlich am Bauernhäuschen vorbei den Weg fortsetzen könne. Nein, kann man nicht. Weil es nämlich komisch aussähe, wenn am Fenster eines kleinen Jungen, der ganz alleine in einer Hütte in einem Märchenwald lebt, eine Gruppe Wanderer in roten Wetterjacken vorbei ziehen würde. Im Häuschen wird gedreht. "Vom Smoliček" heißt der Film. Smoliček lebt allein mit seinem Großvater, der ein verwunschener Hirsch mit goldenem Geweih ist, im Wald. Jeden Tag, wenn er das Haus verlässt, mahnt ihn der Großvater, nicht die Tür zu öffnen, auch nicht, wenn ihn draußen die Waldfeen noch so sehr umsäuseln. Doch irgendwann kann Smoliček ihnen nicht mehr widerstehen und öffnet doch. Regie des halbstündigen Kurzfilms führt Barbara Lackermeier, Schauspielerin und Regisseurin auch an der Neuen Bühne Bruck.

Das Drehbuch hat Lucie Lechner geschrieben, eine kleine, schmale Frau mit braunen Augen, deren Vorname sich streng genommen etwa Lutziä ausspricht, die sich aber als Lucy vorstellt. Lucie Lechner kam als Zweijährige mit ihren Eltern aus der damaligen ČSSR zunächst nach Österreich, später nach Westdeutschland, kurz nach dem Prager Frühling verließ die Familie das Land. "Ruhe, wir drehen!", ruft jemand über den Hof und Lechner spricht unvermindert schnell, aber jetzt im Flüsterton weiter. Über ihre Herkunft, ihre zweisprachige Erziehung, ihre Zerrissenheit zwischen zwei Ländern, die Suche nach ihren Wurzeln, ihre Schauspielerei und dieses Herzensprojekt, den Märchenfilm, der nun nach drei Jahren Planen anfängt, Realität zu werden. In den kalten Händen hält Lechner ein dickes Märchenbuch, eine Ausgabe aus den fünfziger Jahren. Darauf steht der Name Božena Němcová.

Němcová ist für Tschechien ungefähr das, was die Gebrüder Grimm für Deutschland sind. Vielleicht ist sie sogar Jakob und Wilhelm Grimm und dazu noch Goethe und Schiller und Clara Zetkin in einer Person. Ihr Bild ziert den tschechischen 500-Kronen-Schein, immerhin etwa 20 Euro. Ihr Name ist in Deutschland kaum bekannt; eines der Märchen, das sie dem Volk ablauschte und aufschrieb, umso mehr: Drei Haselnüsse für Aschenbrödel. Die Verfilmung von 1973 gehört in Deutschland zum Weihnachtsprogramm wie die Christmette. Aschenputtel kann in dieser Version reiten und schießen, es ist frech und schlau, kein Mädchen, das nur stumm-staunend schöne Kleider, die von Bäumen herabfallen, entgegen nimmt. Das mag den ungeheuren Erfolg des Films zum Teil erklären, der hier vielleicht beliebter ist als die amerikanische Disney-Cinderella.

Er erzählt aber auch etwas über Němcová. Die Schriftstellerin, die 1862 im Alter von knapp 42 Jahren verarmt und schwer krank als Mutter von vier Kindern starb, war deutschsprachig erzogen worden, wurde jedoch zu einer Kämpferin für die böhmisch-mährische Unabhängigkeit und für die Frauenrechte. Von ihr stammt das erste neuzeitliche Prosawerk in tschechischer Sprache, die Erzählung "Die Großmutter", in der sie mit der unglücklichen Viktorka eine Seelenverwandte von Goethes Gretchen aus dem Faust schuf. Die in Tschechien, so wie das Gretchen, jeder kennt, der je eine Schule besucht hat und dazu noch jedes Vorschulkind.

Es ist darum nur typisch, wenn Lucie Lechner mit ihrem Film der großen Autorin ihre Ehre erweisen will. Beinahe beginnt sie an Wunder zu glauben, wenn sie sich nun ihr Team anschaut, das aus "Tschechen, Halbtschechen und auf wundersame Weise irgendwie Tschechienaffinen Menschen" besteht, wie sie sagt. Zum Beispiel aus Wolfgang Hawel. Dessen Nachname zwar nicht geschrieben wird wie der Schriftsteller und frühere Staatspräsident Václav Havel, aber der dennoch, wie er erklärt, über weite Wege irgendwie mit diesem verwandt ist. Immerhin ist Hawel, der im Film einen König spielen wird, auch Politiker gewesen. Wenn auch als grüner Stadtrat in Kaufbeuren ein paar Nummern kleiner. Freundlich plaudernde Vielredner wie Hawel sind wichtig für das Projekt, das sich über Crowdfunding auf der Plattform startnext.de finanziert und noch immer dringend Unterstützer braucht. So erhält Hawel nicht etwa eine Gage, sondern die Rolle ist seine Entschädigung dafür, dass er den Filmdreh finanziell unterstützt. Über die politischen Bande wurden auch die Stadtwerke Landshut ins Boot geholt, die den Film ebenso unterstützen wie der Kulturverein Fürstenfeld und etwa das tschechische Generalkonsulat.

Dass ausgerechnet am Jexhof gedreht wird, ist natürlich Lackermeiers Idee, die mit Lechner schon viele Jahre bekannt ist und deren Sohn die Hauptrolle spielen wird. Dass Lechners Wahl auf dieses nur drei Seiten lange Märchen fiel, hat wiederum mit Lechners Identitätssuche zu tun. "Eigentlich wollte ich nur meiner Mutter beweisen, dass ich akzentfrei tschechisch vorlesen kann", sagt sie. Dann hat es ihr das kurze und einfache Märchen angetan. Ursprünglich mögen es Mütter und Ammen ihren Kindern erzählt haben, um sie davor zu warnen, Fremden die Tür zu öffnen. Lechner hat es erweitert, auch um ihre eigenen Erfahrungen als Grenzgängerin zwischen zwei Ländern. Im Walde draußen, in den Smoliček von den Feen - die übrigens anfangs böse und hässlich sind - gelockt wird, trifft er auf Figuren aus Grimms Märchen: Schneewittchen und die sieben Zwerge zum Beispiel.

In den Wald, das heißt, in die Wiesen und Wälder rund um den Jexhof wird Smoliček allerdings erst im Sommer gehen. Vorgeführt werden soll der Film, so hoffen seine Macher, beim Kurzfilmfestival in Landshut. Und dann wollen die Beteiligten auf Wanderschaft gehen und ihren Film nach Prag tragen - über die offene Grenze in das unabhängige Land, für das Božena Němcová bereits im vorletzten Jahrhundert gekämpft hat.

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