Hörbach:Die jungen Wilden

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Drei Nachwuchskünstler liefern beim Hörbacher "Sprungbrettl" eine grandiose Show und lassen selbst den Profi blass aussehen

Von Julia Bergmann, Hörbach

Vier schräge Typen betreten die Bühne: knittrige Leinenhosen, Fussel-Bärte, ein demolierter Filzhut und fortgeschrittene Halbglatze zieren die Musiker von Gankino Cirkus. Allein ihr Erscheinungsbild sorgt für verstohlene Lacher. Dann setzt die Musik ein, ein irrsinniger Mix aus Gitarre, Akkordeon, Saxofon und Tamburin erfüllt das Zirkuszelt. Sofort wird klar: Musikalisch gesehen wird der Abend wild. Die Mischung aus fränkischen Volksliedern und dem rasanten 11/8-tel-Takt des bulgarischen Nationaltanzes, dem "Gankino Horo", kommt beim Publikum an. Die fränkische Band Gankino Circus, die die Verleihung des Bayerischen Kabarettpreises 2015 im Fernsehen begleitet hat, sorgt am Donnerstag auch beim Brettl-Festival, genauer gesagt beim "Sprungbrettl", für die musikalische Untermalung.

Das "Sprungbrettl", ein Novum im Festival-Programm, bietet drei jungen Nachwuchskünstlern die Möglichkeit, Fragmente ihres Programms vor großem Publikum zu präsentieren. Moderiert wird der Abend vom Wiener Kabarettisten Severin Gröbner. Nacheinander betreten Andrea Limmer, Max Kennel und Kaleb Erdmann die Bühne und liefern eine derart grandiose Show ab, dass der alte Hase Gröbner neben den jungen Wilden fast ein bisschen blass wirkt. Die Niederbayerin Limmer gibt auf den "Brettern, die kein Geld bedeuten", wie Gröbner sie nennt, ihre Wirtshausgrotesken zum Besten. Recht viel mehr, darf man der jungen Kabarettistin glauben schenken, gibt es aus ihrer Heimat kaum zu berichten. Und weil das Wirtshaus da nicht auch noch wegfallen darf, hat sie den Brennsuppen e.V. gegründet und eine Initiative gegen das Wirtshaussterben angeleiert. Auf Stimmenfang animiert sie das Publikum zu einer Runde Wirtshausyoga. "Wir atmen den Duft von alten Kartoffeln, alten Männern, altem Bier und alten EU-Subventionen", stimmt Limmer mantraartig an und setzt dann zu einer irrwitzigen Geschichte über die 150-Kilo-Stier-Bezwingerin Chantalle Semmelbauer an. Limmer erntet Lacher, das Erzählen liegt ihr, aber so ganz nimmt man ihr die hinterwäldlerische Niederbayerin nicht ab. Nicht weil es an Talent mangelt, sondern weil man das Bild der jungen Frau ob der tragisch-absurden Geschichten aus der Provinz nur schwer mit dem derben erzählerischen Duktus einer lebenserfahrenen Wirtin in Einklang bringen kann.

Der Bayernslam-Champion Max Kennel, der den Traum hat, mit Gedichten Geld zu verdienen, heizt den Besuchern schließlich so richtig ein. Mit herzzerreißender Naivität trägt er einzelne Verse aus seinem "Tier-Poem-Zyklus" vor, die die poetische Ästhetik eines Rohrschneiders besitzen. Mit Pathos, die Hände in bester Philosophen-Manier in die Höhe gestreckt - das Publikum in Erwartung tiefgreifender Lyrik - setzt er an: "Es trank einmal ein Wiesel/ nen halben Liter Diesel/ Da zerriss es den Schlawiner/ Er war halt ein Benziner". Aber Kennel kann auch anders und geht zu dem über, was er am besten kann: Im verzerrten Sprechrhythmus eines Poetry-Slammers erinnert er sich an "Ostern 2002: Familienbrennpunkt Eiersuche", dieses Fest an dem Kennel keine Schwester, sondern nur mehr eine Feindin hat. Oder an die Schmach von Weihnachten '98: Als Geschenk gab es nur Anziehsachen und Wasserfarben. Kennel fand das als "politisch inkorrekter Achtjähriger schwul, weil die Klassenkameraden all die krassen Sachen haben". Kennels Erzählstil ist in seiner mit Ironie vorgetragenen Tragik so witzig, seine Bühnenpräsens so einzigartig, dass die Nummer hervorragend aufgeht.

Auch Kaleb Erdmann hat die ersten Lacher und damit die Gunst des Publikums in Sekundenbruchteilen in der Tasche. Er eröffnet mit einer radikalen Ansage an all die scheinheiligen Konsumkritiker, findet es schlichtweg untragbar, in einer Welt leben zu müssen, in der man sich für den Burger, den man in der Nacht noch völlig betrunken von McDonalds holt, schämen muss und fordert "37,3 Millionen verschiedene Sorten Chips" und für jeden einen eigenen Supermarkt. Erdmann schwärmt vom Anblick der Fleischtheken, die die Anmut "einer Sexorgie" ausstrahlt und von Werbedurchsagen "von verlogener Poetik", die mit Lachs-Baklava-Baguettes locken. "Ich will Fantabrunnen in den Straßen", setzt er an und fordert eine Welt in der Menschen durch Roboter ersetzt werden, damit sie Zeit für Sex und das Schreiben mittelmäßiger Poetry-Slam-Texte haben. Mit seinen schonungslosen Worten, mitunter gespickt mit Schimpfwörtern, seiner überspitzten Pro-Konsum-Haltung, regt Erdmann zum Nachdenken an. Und das auf die schönste Art und Weise, die es gibt: mit scharfer Zunge und beißendem Witz.

© SZ vom 22.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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