Harry Rowohlt in Gröbenzell:Der Nasenwackler

Harry Rowohlt nimmt bei seinem vierstündigen Auftritt im Gröbenzeller Stockwerk alles auf die Schippe, was ihm in die Quere kommt. Auch das Publikum, das ihn dafür nur noch umso mehr anhimmelt

Anna Günther

Rowohlt

Harry Rowohlt liest und sinniert im Stockwerk Gröbenzell.

(Foto: Günther Reger)

Die Suche nach der Inspiration, nach der zündenden Idee beschäftigt Dichter, Denker und Selbstdarsteller seit Jahrhunderten. Schon Homer rief die Musen an, manch Literat suchte den zündenden Gedanken bei der grünen Fee Absinth oder in den Armen einer Frau. Und landete nicht selten taumelnd am Abgrund des Rausches. Dem Alkohol hat Harry Rowohlt vor acht Jahren abgeschworen, mit seinem Dasein als "Säufer" kokettiert der 67-Jährige noch immer. Nannte er seine Lesungen früher "Schausaufen mit Betonung", trinkt das Enfant terrible der deutschen Übersetzer bei "Betonung ohne Schausaufen" nur noch Wasser - und raucht vor dem Auftritt auf Vorrat. Auch bei seiner Lesung im ausverkauften Gröbenzeller Stockwerk am Freitagabend musste Rowohlt fast vier Stunden lang darben. Den rasselnden Husten entschuldigte er mit Ironie: "Ich begrüße das allgemeine Rauchverbot sehr. Wo man früher auf Feten stundenlang ermitteln musste, wo die Netten und Klugen sind, geht man heute einfach vor die Tür." Und die Inspiration? Liefert ihm das Publikum gleich selbst.

Bei seiner Lesereise durch die Bundesrepublik tingelt der Verlegersohn mit dem Rauschebart durch Städte und kleine Dörfer, die Erfahrungen und Anekdoten verwebt er in seinem Programm. Meist bissig, manchmal nett. Auch die Reise nach Gröbenzell könnte andernorts Erheiterung, Unterhaltung oder Hohngelächter auslösen, kaum einer der gut 320 Zuschauer dürfte es miterleben. Rowohlt verbindet die Lesung aus Andy Stantons Geschichten von Mister Gum mit Witzen, Gedichten, Anekdoten und Sottisen. Niemand ist vor seinem beißenden Spott sicher, jeder potenzielle Inspiration für die nächste Lesereise: Ob Schwaben, Nord- oder Ostfriesen, Sachsen, Bayern, Politiker, Schulbuchverleger, Katholiken, Juden, Journalisten oder die Schriftsteller-Kollegen. "Sobald Schwaben merken, dass etwas komisch ist, lachen sie erbarmungslos bis zum letzten Cent ihr Eintrittsgeld herein", sagt Rowohlt. Eine Anekdote aus Ulm. Das Gröbenzeller Publikum tobt.

Selbst wenn er bloß mit tiefem Timbre in seinen Bart brummt, kreischen die anwesenden Damen wie Teenager. Das Haupthaar wird zwar lichter, der Bart ist dafür umso dichter. Den Frauen scheint es zu gefallen, ihren Männern auch. Und der betont rebellische Tausendsassa sonnt sich im Jubel, steuert die Massen minimalistisch. Ein Blick, ein Brummen. Applaus. Rowohlt ist Profi: Rampensau, sprachgewaltiger Wortkünstler, Übersetzer von 179 Büchern, Schauspieler in der ARD-Vorabendserie Lindenstraße, Kult-Kolumnist, Schriftsteller, Stimm-Virtuose und "Hörbuchvollquatscher". Einzig das Häschen-artige Nasewackeln beim Warten auf die Reaktion der Zuschauer, scheint nicht Teil der Show zu sein. Wie der Name schon nahelegt, dreht sich das Programm "Harry Rowohlt liest und erzählt" um den Verlegersohn, seine Kolumnen, seinen Blick auf die Welt und die Einblicke in seine Welt. Die Fangemeinde ist begeistert und scheint gar nicht zu merken, dass der Sprachkünstler sich auch über die Anwesenden lustig macht. Den Spaß, das Publikum zu testen und großväterlich über das Wort "fürbass" (weiter) oder den Ursprung der Binsenweisheit aufzuklären, genießt Rowohlt sichtlich. Die Wenigsten scheinen den Sprung von griechischen Heldensagen um Perserkönig Darius mit Eselsohren zum persischen Schah Reza Pahlevi, der CIA und dem iranischen Regime heute zu machen. Der Applaus schwächelt, eine Anekdote für die nächste Lesung?

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