Existenzgründer:Nur jeder Dritte schafft es

2014 wurden im Landkreis 1734 neue Gewerbe angemeldet. 70 Prozent der Gründer geben in den ersten Jahren auf. Fast alle, die sich von Wirtschaftsförderern beraten lassen, können sich dagegen behaupten

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Nach der Zahl der Gewerbeanmeldungen nimmt der Landkreis Fürstenfeldbruck in Oberbayern einen Spitzenplatz ein. Genau 1734 Neugründungen weist die Statistik von Barbara Magg für das vergangene Jahr aus. Das sind sogar weit mehr als im bevölkerungsstärkeren Landkreis München. Die Wirtschaftsgeografin Magg leitet im Landratsamt seit 18 Jahren die Abteilung für Wirtschaftsförderung. Sie ist von ihren "Gründern", wie sie ihre Klienten nennt, überzeugt. Magg lässt sich auch nicht durch eine Zahl irritieren, die auf ernüchternde Weise zeigt, wie riskant und schwer der Schritt in die Selbständigkeit ist: 70 Prozent aller, deren Traum es ist, ihr eigener Chef im eigenen Unternehmen zu werden, geben in den ersten drei Jahren wieder auf.

Aber es gibt noch eine andere Statistik, mit der die Wirtschaftsfördererin ihren Optimismus begründet. 80 Prozent derjenigen, die eines der vom Landratsamt regelmäßig angebotenen Existenzgründerseminare besuchen oder sich von der Wirtschaftsfördererin, der IHK, einer Handwerkskammer oder ihrer Hausbank ausführlich beraten lassen, sind nach vier oder fünf Jahren mit ihrem Betrieb immer noch auf dem Markt. Wer so lange durchhält, hat es in der Regel geschafft - und er stellt sogar Mitarbeiter ein. Der Schlüssel zum Erfolg ist die richtige Beratung und Begleitung in der Startphase.

Der Erfolg ist also kein Zufall. Es ist naheliegend, dass jemand, der vier Jahre durchhält, sich schon vor der Gründung seiner Firma intensiv mit seinem Unterfangen auseinandergesetzt hat und von sich und seiner Geschäftsidee so überzeugt ist, dass die Kunden ihm vertrauen. Dagegen haben die meisten der spontanen sogenannten Hoppla-Hop-Gründungen erheblich weniger Chancen auf Erfolg.

Für die meisten ist das Scheitern aber nicht ganz so schlimm, wie es klingt. Mit einem Anteil von 60 Prozent erfolgt die überwiegende Zahl der Gewerbeanmeldungen im Landkreis nämlich zuerst nur im Nebenerwerb. Das heißt, es machen sich beispielsweise Arbeitnehmer mit einer sicheren Stelle im öffentlichen Dienst als Ernährungsberater selbständig. Es kann sich aber auch um eine Sekretärin handeln, die im Nebenjob Werbemittel vertreibt, oder die Mitarbeiterin eines Fotografen, die sich mit der Genehmigung ihre Chefs am Feierabend auf Babyfotos spezialisiert. Solche Nebentätigkeiten bedürfen in der Regel der Zustimmung des Arbeitgebers, sie sind aber auch fast immer von dem Wunsch getragen, diese Tätigkeit in absehbarer Zeit im Vollerwerb auszuüben.

Seit drei Jahren sinkt die Zahl der Gewerbeanmeldungen im Landkreis leicht. Das Minus zwischen 2013 und 2014 beträgt sechs Prozent. Für Magg ist das nicht weiter verwunderlich. "Menschen sind auf Sicherheit bedachte Wesen", sagt sie. Deshalb begebe man sich nur ungern in den "Wirbelsturm einer Existenzgründung". Zudem verliert der Schritt in die Selbständigkeit in konjunkturell guten Zeiten zusätzlich an Reiz, weil die sichere Festanstellung Vorrang vor der Übernahme des unternehmerischen Risikos hat.

Existenzgründer: SZ-Grafik

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Aber das könnte sich mit der jungen Generation ändern. Für die ist es nicht mehr so attraktiv wie für ihre von Burnout und anderen Krisenphänomenen gebeutelten Eltern, sich lebenslang als Angestellte zu verdingen. Die jungen Erwachsenen gelten zwar als ebenso leistungsfähig wie ihre Mütter und Väter, sie wollen aber auch ihren Spaß haben und sich die Freiheit erhalten, zu arbeiten wo, wie und was sie wollen. Und sie denken mehr in Konzepten. Ob eine solche geänderte Lebenseinstellung langfristig zu mehr Selbständigkeit führen wird, das lässt die Wirtschaftsfördererin offen.

Auf jeden Fall stehen mit einem Anteil von etwa 60 Prozent die meisten der Gründer im Landkreis bereits in der Lebensmitte. Sie sind etwa 35 bis 45 Jahre alt, haben erste Krisen und viele Herausforderungen überstanden und sind lange genug berufstätig, um die Selbständigkeit überlegt anzugehen. Viele dieser Gründer suchen eine neue Herausforderung oder sie wollen einfach nur keinen Chef mehr über sich haben. In einer anderen Situation befinden sich viele derjenigen, die älter als 50 sind. Sie stehen häufig vor der Kündigung und versuchen verzweifelt, sich für den Rest des Arbeitslebens eine eigene Existenz aufzubauen.

Der Anteil der jungen Leute an den Unternehmensgründern ist im Landkreis mit 15 bis 20 Prozent in etwa ebenso hoch wie der der Rentner. Diejenigen, die ein Altersruhegeld beziehen, werden in zwei Kategorien eingeteilt. Einerseits gibt es die Rentner, die für ihre Geschäftsidee brennen, andererseits aber auch diejenigen, die etwas dazuverdienen müssen. Zu dieser Kategorie werden zum Beispiel solche Rentner gezählt, die aus purer Not einen Hausmeisterservice gründen. Aber das seien nicht wirklich viele, meint die Wirtschaftsfördererin einschränkend. Nicht beziffern lässt sich die Zahl der Arbeitslosen im Landkreis, die versuchen, sich selbständig zu machen. Nach den Worten von Magg ist deren Zahl sogar zurückgegangen, auch weil die Förderung eingeschränkt wurde.

Ideale Selbständige sind authentisch, seriös, selbstbewusst, leistungsbereit und von ihrer Geschäftsidee so überzeugt, dass sie bei den ersten Problemen nicht sofort aufgeben. Zudem müssen sie, worauf Berater hinweisen, dazu bereit sein zu verzichten. Das heißt, in der ersten Zeit hat die Firma Vorrang vor allem. Es gibt keinen oder nur wenig Urlaub, man kann nicht auf großem Fuß leben und die Familie muss Rücksicht nehmen und Rückhalt geben. Der Lohn besteht darin, Herr im eigenen Haus zu sein. Am Anfang ist es steuerlich gesehen sogar günstiger, keinen Gewinn zu machen. Mit insgesamt 336 Neugründungen nahm im vergangenen Jahr im Landkreis der Handel die Spitzenposition ein, obwohl hier, auch wegen der Internetkonkurrenz, die meisten scheitern. Am heftigsten geht es laut Magg im Textileinzelhandel zu. Wer überleben will, ist selbst mit einem kleinen Laden auf einen niedrigen sechsstelligen Jahresumsatz angewiesen. Wer eine Modeboutique eröffnet, sollte in seinem Businessplan wegen der hohen Mieten und Unkosten einen Umsatz von mindestens einer Million anpeilen.

Barbara Magg

Barbara Magg leitet im Landratsamt seit nunmehr achtzehn Jahren die Abteilung für Wirtschaftförderung.

(Foto: Günther Reger)

Auf Platz zwei rangiert das Baugewerbe mit 230 Neuanmeldungen Für diese Entwicklung gibt es zwei Ursachen. Die Einführung der Niederlassungsfreiheit durch die EU. Von dieser Öffnung profitieren viele Bauhandwerker aus den osteuropäischen Ländern. So kommen die meisten Gründer der Baubranche aus Bulgarien. Zudem ist für viele Handwerksbereiche die Pflicht weggefallen, dass der Chef über einen Meisterbrief verfügt. Auch das erleichtert den Schritt in die Selbstständigkeit.

Weitere Boombranchen sind die sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen mit 222 neuen Firmen. Darunter fallen auch die vielen Coaches, also Trainer, Berater und Betreuer, die es laut Magg inzwischen wie Sand am Meer gibt. Neben freiberuflichen wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen (207 Gründer) sowie der IT-Branche Information und Kommunikation (80 neue Betriebe) liegen bei den neuen Selbständigen noch das verarbeitende Gewerbe (85), Erziehung und Unterricht (49) sowie das Gesundheits- und Sozialwesen vorne. Im vergangenen Jahr eröffneten allein 67 neue Gastbetriebe. In der Gastronomie ist die Herausforderung für Anfänger besonders groß. Hier wird nur denjenigen eine Chance eingeräumt, die etwas Besonderes zu bieten haben.

Wer mit seinem Betrieb überleben will, muss nicht nur risikobereit und fleißig, sondern auch ein guter Netzwerker sein. Letzteres gilt als das A und O der Wirtschaftsförderung. Als ein "Gründungsphänomen", das sich durch alle Branchen zieht, bezeichnet Magg die Tatsache, dass es bei allen nach zwei bis drei Jahren zu einem Umsatzeinbruch komme. In dieser Phase kann sich der Gründerstammtisch als hilfreich erweisen. Die Unternehmer, die sich hier regelmäßig treffen, helfen sich mit Tipps und auch dadurch, dass sie sich gegenseitig Aufträge zuschanzen.

Hier kommt zum Tragen, was von Anfang an für jeden gilt, der sich selbständig macht. Zu jeder guten Geschäftsidee gehören klare Ziele. Also ein Plan, der Ziele wie Umsätze, Gewinne und Werbestrategie genau vorgibt. Wer sich von Experten beraten lässt, kann sich höchstwahrscheinlich vieles ersparen: "Wir sagen knallhart, wenn wir der Meinung sind, dass eine Geschäftsidee nicht funktioniert", beteuert Barbara Magg.

Während in anderen Landkreisen Existenzgründerseminare abgesagt werden müssen, weil es an Interessenten fehlt, boomen diese in Bruck. Das ganztätige Seminar an diesem Freitag, 26. Juni, bei dem auch die Hauptfehler von Unternehmensgründern und Konkursbeispiele thematisiert werden, ist ausgebucht. Interessenten, die ein solches Seminar besuchen wollen oder sich beraten lassen möchten, können sich unter der Telefonnummer 08141/519-248 an Barbara Magg wenden.

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