Gröbenzell:Zuhören, trösten und wieder gehen

Malteser-Hilfsdienst

Das gute Gefühl, jemanden unterstützt zu haben, baut Carmen Sturz nach ihren Einsätzen wieder auf.

(Foto: Günther Reger)

Carmen Sturz leitet das Kriseninterventionsteam der Malteser. Für Angehörige nach dem Tod eines Menschen da zu sein, erfüllt sie

Von Erich C. Setzwein, Gröbenzell

Carmen Sturz schläft auch in den ungeraden Wochen immer ganz gut. Bis sie der Piepser weckt und sie gerufen wird, um Angehörigen eine schreckliche Nachricht zu überbringen oder sie in den ersten Stunden nach dem plötzlichen Tod des Partners zu begleiten. Es kann auch passieren, dass sie zusammen mit einem Ehemann, einer Ehefrau oder Kindern auf den Tod eines im Sterben liegenden Menschen warten muss. Doch das ist der Job, den Carmen Sturz vom Kriseninterventionsteam (KIT) des Malteser Hilfsdienstes (MHD) seit viereinhalb Jahren macht und den sie auch in ihrer neuen Funktion als Leiterin des KIT in Gröbenzell zusammen mit ihren 18 Kollegen weiter machen wird.

Alle zwei Wochen, in den ungeraden nämlich, sind die 48 Jahre alte Carmen Sturz und ihr Team in Bereitschaft. Sie decken damit sechs Monate im Jahr ab. In der anderen sechs Monaten sind es die Mitarbeiter des Kriseninterventionsdienstes des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) in Fürstenfeldbruck.

In diesen sechs Monaten rücken die Gröbenzeller KIT-Mitglieder zwischen 120 und 130 Mal aus. Sie werden stets vom Rettungsdienst gerufen und kommen möglichst zu zweit, wenn es möglich ist. Denn das, was dieses Duo dann sieht, hört und erfährt, ist wichtig für die Arbeit, die sie später zu leisten haben: "Angehörige wollen manchmal ganz genau wissen, wie ein Unfall passiert ist", sagt Carmen Sturz. Gerade Kindern gegenüber gelte es, die Wahrheit zu sagen. Nicht die Details, wie der Papi sich selbst umgebracht hat, als man ihn an einem Baum hängend gefunden hat, aber zumindest die Ursache. Kind- und altersgerecht geht die KIT-Leiterin dann vor: "Ich werde nichts schön reden", sagt die Mutter eines Elfjährigen, die sich angewöhnt hat, den Angehörigen weder "Guten Morgen" noch "Guten Abend" zu sagen. "Das wollen die nicht hören, das ist kein guter Tag für sie." Carmen Sturz sagt trotzdem, auch nach viereinhalb Jahren mache ihr der Nebenjob im Kriseninterventionsteam Spaß. Doch wie kann es einem Menschen Freude bereiten, wenn er anderen Menschen mitteilt, was sie überhaupt nicht freuen wird? Es ist für die Gröbenzellerin das gute Gefühl, jemanden unterstützt zu haben, der diese Unterstützung in diesem besonderen Moment gebraucht hat. Und wie kommt jemand dazu, sich einer solchen Aufgabe zu widmen?

Vor viereinhalb Jahren hat Carmen Sturz eine Annonce des Malteser Hilfsdienstes gelesen. Gesucht wurden Mitarbeiter im KIT. Sie las die Anzeige, legte sie erst einmal weg, kramte sie aber nach einer Woche wieder hervor. Um sich zu bewerben. Sie machte die Grundausbildung, die erste Einblicke verschaffen sollte. Im folgenden Kurs lernte sie das Handwerkszeug: Wie eine Betreuung, die sich über Stunden hinziehen kann, aufgebaut wird, aber auch, wie man sich selbst schützen kann. Schließlich kam die theoretische, dann die praktische Prüfung. Danach hat sie KIT-Mitglieder fünf Mal bei deren Einsätzen begleitet. Heute, als Leiterin, lässt sie neue Teammitglieder auch bei mehr Einsätzen hospitieren - "wenn sie finden, dass sie es brauchen".

Doch Rollenspiele in der Ausbildung und die Hospitanz können nicht das vermitteln, was auf die freiwilligen Helfer zukommt, wenn sie vom Rettungsdienst oder von der Polizei alarmiert werden, weil jemand seinem Leben ein Ende gesetzt hat und nun erst einmal ein geschockter Lokführer zu betreuen ist. Carmen Sturz muss möglicherweise auch dorthin, wo die menschlichen Überreste unter der S-Bahn liegen. "Aber ich muss nicht alles anschauen." Das gelte auch für Verkehrsunfälle. "Wenn sich ein Auto um den Baum gewickelt habe, kann ich mir vorstellen, was passiert ist und muss nicht hineinschauen." Da geht es ihr anders als den vielen Schaulustigen, die neugierig auf die Unfallwracks starren, um einen Blick auf einen zerstörten Körper zu erhaschen und sich dabei gar nicht im Klaren sind, welchen Respekt alle jene verdienen, die sich um das Opfer und auch die Angehörigen kümmern.

Auch wenn einer ihrer längsten Einsätze die acht Stunden lange Begleitung von Angehörigen eines Tauchers gewesen ist, der vermisst war und tot geborgen wurde, hat Carmen Sturz im vergangenen Jahr ganz neue Erfahrungen bei den vielen Einsätzen mit Badetoten gemacht. Handelte es sich um ertrunkene Asylbewerber aus der Erstaufnahmeeinrichtung, so hatten sie zwar keine Angehörigen in Fürstenfeldbruck, aber deren Freunde brauchten die Hilfe. Da gab es Verständigungsschwierigkeiten, es musste gedolmetscht werden. Auch in diesen Fällen hätten sie getan, was ihre Hauptaufgabe sei: Für die Angehörigen da sein, sie den Schock überwinden lassen und sie handlungsfähig zu machen. Bis es aber so weit ist, dass ein Angehöriger wieder zum Telefonhörer greifen kann, um Verwandte zu verständigen, wird "manchmal geheult, manchmal geschwiegen und manchmal geschrieen", sagt Carmen Sturz. Und wenn jemand schreien will, sind wir so lange da, so lange es braucht." Und wenn es gewünscht sei, dann werde auch gemeinsam gebetet.

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