Gröbenzell:Leidenschaft auf schmalem Grat

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Bis zu 20 Musiker und Tänzer des Ensembles Pasión de Buena Vista drängen sich zeitweise auf der kleinen Bühne der Wildmooshalle. Die Salsa-Klassiker stammen aus einer Zeit, in der die Musik den Menschen dabei half, den harten Alltag zu bewältigen

Von Stefan Salger, Gröbenzell

Pasión, das heißt auf Spanisch so viel wie Leidenschaft. Und was bleibt denn den Kubanern anderes als Leidenschaft? Im Socialismo des Máximo Líder, des mittlerweile abgetretenen fast 90-jährigen Greises Fidel Castro, blieb einem ja wenig jenseits der gerühmten Schulen und Kliniken und der schmalen Überlebensrationen aus Reis, Bohnen, Zucker und Kaffee, die man sich mit den Bezugsscheinen der Libreta bei staatlichen Ausgabestellen abholen konnte. Aber sie hatten ja ihre Pasión und sie hatten ihre Lebensfreude, die ihnen in die Wiege gelegt worden war und die ihnen kein US-Embargo vorenthalten konnte. Und sie hatten ihren unnachahmlichen Hüftschwung und die Salsa-Musik. Musik und Tanz: Das Ensemble der Pasión de Buena Vista hat am Samstag vor etwa 250 Besuchern versucht, mit ihrer Hilfe Leidenschaft und Lebensfreude zu transportieren. Ein schwieriges Unterfangen angesichts der räumlichen Zwänge des Saals in der Wildmooshalle. Denn nach kubanischem Verständnis bedarf es bei Konzerten zwingend des Platzes zum Tanzen, die Besucher müssen stehen, mitmachen und mitklatschen. Aber ein Konzert kubanischer Bands im Ausland ist immer auch ein Kompromiss. Die Künstler sind privilegiert, verdienen mehr als Ärzte oder Ingenieure. Wenn sie um die Welt tingeln, dann vor allem aus einem Grund: Weil sie ihre Familien daheim durchbringen müssen und ihnen ein Leben ohne Libreta ermöglichen wollen. Wer Session und Fiesta will, der bekommt in Kuba - außerhalb der großen Hotels und Touristenressorts - ein paar Pesos Cubanos, für die er sich nicht einmal Milch oder Saft kaufen kann. Wenn die in der Regel exzellent ausgebildeten kubanischen Musiker durch die USA oder durch Europa touren, dann wissen sie, dass sie mit Auftritten eher latente Sehnsüchte und sentimentale Gefühle wecken sollen als zum ausgelassenen Mitfeiern zu animieren. Und doch gelingt im eng bestuhlten Saal an diesem Abend fast die Quadratur des Kreises, die Pasión blitzt auf, der Funke springt über.

Den Rhythmus im Blut: Das Ensemble der Pasión de Buena Vista präsentiert altbewährte kubanische Klassiker. (Foto: Günther Reger)

Sehenswert, wie es die elf Musiker der Buena Vista Band, bestehend aus Solisten und der sechsköpfigen Formation El Grupo de Bailar mit ihren grazilen Tänzerinnen es schaffen, sich bei der farbenprächtigen Show auf der relativ kleinen Bühne nicht in die Quere zu kommen. Jene Show lebt von der Vergangenheit. Mag die kubanische Jugend längst abwinken, wenn vom Buena Vista Social Club die Rede ist - einer Combo der grauhaarigen Männer, die 1996 vom US-Musiker Ry Cooder zusammengetrommelt worden war und über die Wim Wenders ein paar Jahre später einen herzergreifenden Dokumentarfilm gedreht hat. Kubas Jugend hört den schnellen, beatlastigen Reggaeton, sie interessiert sich kaum noch für die Musik der Großväter und für die Zeit vor der Revolution von 1959, die Kuba vom Rest der Welt abkoppelte und buchstäblich schockfrostete.

Das Ensemble begeistert mit Leidenschaft und Lebensfreude. (Foto: Günther Reger)

Die Jugend kann mit Parolen wie "Socialismo o Muerte - Sozialismus oder Tod" nichts mehr anfangen. Das Embargo könnte bald fallen, die Lebensverhältnisse haben sich seit der Período especial Mitte der Neunziger Jahre, die mit dem Fall des Ostblocks und damit auch mit dem Entzug der massiven russischen Hilfe einherging, verbessert. Und doch ist das von Mc Donalds und anderen teils zweifelhaften westlichen Errungenschaften weitgehend verschonte Kuba immer noch so etwas wie eine Insel in einer immer rastloseren Welt. Eine Insel, in der nur sehr langsam die aus den Fünfzigerjahren stammenden US-Straßenkreuzer durch südkoreanische und japanische Modell ersetzt werden und zumindest rund um Havannas Altstadt, Habana Vieja, die bröckelnden Fassaden hinter neuem Putz verschwinden.

Oldtimer, Kolonialgebäude, Palmen, Salsa, Rumba, Mambo, Cha-Cha-Cha. Die guten Fragmente der alten Zeit. Sotto Victor-Antunez, geboren 1949, oder Estanislao "Augusto" Blanco Zequeira, Jahrgang 1939, kennen die längst verstorbenen Granden vom Buena Vista Social Club, wie Ibrahim Ferrer oder Compay Segundo oder Ruben Gonzalez noch von gemeinsamen Auftritten. Mit Hüten und im Glitzeranzug greifen die beiden Senioren gemeinsam mit Sängerin Lisbet Castillo-Montenegro zu altbewährtem Liedgut. Standardrepertoire, wie es sich auf zahllosen Tonträgern findet - das man aber, mal ehrlich, als Nichtkubaner mitnichten missen möchte. Da wird der Berufsrevolutionär Che Guevara verklärt und die junge Frau aus dem Ort angeschmachtet, der wegen des US-Gefangenenlagers traurige Berühmtheit erlangt hat (Guantanamera). Um das zeitlose Thema Beziehungskisten geht es in Klassikern wie "Bésame mucho" (küss mich ganz fest) oder "Dos Gardenias para ti" (Zwei Gardenien für dich). Musikalische Akzente setzt in dem von Trompeten und Keyboard flankierten Percussion-Gewitter mit Drums, Timbales und Conga vor allem die kubanische Tres-Gitarre mit ihren drei doppelchörigen Stahlsaiten. Sie gibt der Leidenschaft den flirrenden Klang. Und auch wenn die Revolutionäre für die Jugend wie Dinosaurier wirken mögen. Einem Spruch Che Guevaras scheint sich die Pasión de Buena Vista doch verpflichtet zu fühlen: Hasta la Victoria siempre - bis zum immerwährenden Sieg. Am späten Abend haben sie die Herzen der Zuschauer dann auch gewonnen.

© SZ vom 23.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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