Gröbenzell:Die Geschichte einer Nazi-Hochburg

Mit einer Ausstellung erinnert der Verein "Die Gröbenhüter" an die braune Vergangenheit Gröbenzells. Die Grundlagen lieferte Kurt Lehnstaedt, der in jahrelanger Recherche die Details zusammengetragen hat. Sein Buch bietet die bislang beste Aufarbeitung der NS-Zeit im Landkreis

Von Peter Bierl, Gröbenzell

Die beeindruckendsten Stücke in der Vitrine sind ein Koffer mit der Aufschrift Simon Erlanger und das Leitwerk einer 250-Kilogramm-Bombe, die ein amerikanisches Flugzeug auf einen Zug abgeworfen hatte. Ein Gröbenzeller hat das Relikt in der Garage aufgehoben und zur Verfügung gestellt für eine Ausstellung des Vereins "Die Gröbenhüter" im zweiten Stock der alten Schule. Sie dokumentiert anhand von Fotos und Texttafeln, Briefen und amtlichen Schriftstücken sowie Originalobjekten wie einer Sammelbüchse des Winterhilfswerkes oder einer Trompete der Hitlerjugend die NS-Zeit in der Siedlung.

Die Ausstellung basiert auf Recherchen des Gröbenzeller Historikers Klaus Lehnstaedt, der sich seit rund 20 Jahren mit dem Thema befasst hat. Er hat Aufsätze und Broschüren dazu publiziert und pünktlich zur Ausstellung und zum 70. Jahrestag des Kriegsendes seine Erkenntnisse in einem umfangreichen Buch veröffentlicht, das am Montag auf einer Pressekonferenz vorgestellt wurde. "Wir sind stolz darauf, Herausgeber sein zu dürfen", betonte Rudi Ulrich, der Vorsitzende der Gröbenhüter. Er sieht die Aufklärung über die Vergangenheit auch als Warnung. "Wir müssen wachsam sein, denn die Nazis damals haben auch klein angefangen", sagte er mit Verweis auf den Überfall von Neonazis auf die Maikundgebung in Weimar.

Das Buch von Lehnstaedt ist zumindest im Landkreis ziemlich einzigartig in der Tiefe und Intensität der Darstellung sowie der Fülle der präsentierten Fakten. Dass die braune Vergangenheit tabu war, liegt seiner Ansicht nach daran, "dass es nicht wenige Leute gibt, die davon profitiert haben". Beim Heranrücken der Amerikaner haben die Nazis in Gröbenzell, wie in vielen anderen Orten auch, die Akten vernichtet, um Spuren zu verwischen. Nur zwei Ordner sind erhalten geblieben, die in der Ausstellung zu sehen sind.

Interesse vorausgesetzt, lässt sich die braune Vergangenheit trotzdem erkunden, weil dank der Bürokratie die Abschriften vieler Dokumenten an vielen Orten verstreut zu finden sind. Lehnstaedt hat Dokumente aus etwa 30 Archiven ausgewertet. Die etwa 280 Entnazifizierungsakten aus dem Staatsarchiv in München zählen zum Kernbestand. Aus diesen Unterlagen gewann der Historiker einen Einblick in Aufbau und Funktion des Apparates der lokalen NSDAP.

Aus Dokumenten des Erbgesundheitsgerichtes in München konnte er die Schicksale von acht Menschen rekonstruieren, die zwangsweise sterilisiert wurden. Zwei Gröbenzeller, Eva Link und Wilhelm Zeitler, wurden im Rahmen der Euthanasie als minderwertige Menschen ermordet. In der Ausstellung wie in dem Buch wird an diese Menschen erinnert. Die Opfer bekommen ein Gesicht und eine Geschichte.

Zwei seiner Onkel wurden von den Nazis schwer misshandelt, erzählt Albert Donhauser, der zweite Vorsitzende der Gröbenhüter. Der Sozialdemokrat Josef Schäflein wurde von SA-Männern brutal zusammengeschlagen und verlor ein Auge. Hans Donhauser sollte ins KZ Dachau verschleppt werden und wurde von Einheimischen so verprügelt, dass er bewusstlos auf der Straße liegen blieb und im Krankenhaus behandelt werden musste. Donhauser hatte sich als Wirt des Gröbenzeller Hofes geweigert, den Nazis seinen Saal für Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen.

Der Koffer in der Vitrine hat Simon Erlanger begleitet, der wegen seiner jüdischen Herkunft von 1941 bis 1943 erst im Milbertshofener Barackenlager, dann in Berg am Laim und zuletzt in den Räumen der geschlossen Israelitischen Kultusgemeinde in der Lindwurmstraße wohnen musste, bevor er nach Gröbenzell zurück durfte. Dass Erlanger nicht in eines der Vernichtungslager deportiert wurde, lag daran, dass er in einer "Mischehe" lebte.

Eine weitere Quelle sind alte Zeitungen. Der allererste Hinweis findet sich in der Neuen Zeitung, dem Blatt der bayerischen KPD, die Ende September 1929 über den "Faschistenterror in Gröbenzell" berichtete. Die "Hakenkreuzler" hatten eine Versammlung in der Bahnhofswirtschaft abgehalten und forderten die Besucher auf, der SA beizutreten. "Als niemand sich rührte, wurden sie handgreiflich und zerrten ein paar Arbeiter hin und her, schrien auf sie ein und zwangen sie förmlich, sich aufnehmen zu lassen".

Dass sich Gröbenzell von 1929 an zu einer NSDAP-Hochburg im Brucker Bezirk entwickelte, hat strukturelle und persönliche Gründe. Während in Olching Arbeiter dominierten, siedelte sich in Gröbenzell ein überwiegend kleinbürgerliches Milieu an. Die Vereine passten sich 1933 an und schalteten sich gleich. Dazu setzte sich die Gröbenzeller NSDAP aus besonders aktiven Leuten zusammen. Lehnstaedt hat Unterlagen von mehr als 400 Parteimitgliedern gefunden, bei einer Gesamtbevölkerung von damals etwa 1300 Menschen.

Kurt Lehnstaedt, Gröbenzell in den Jahren 1933 bis 1945. Die fünfteilige Siedlung im Nationalsozialismus, Herausgeber: Verein Die Gröbenhüter, München 2015, Volk Verlag, 296 Seiten, 29,90 Euro. Die Ausstellung im Heimatmuseum ist bis 21. Juni jeweils am Sonntag von 10 bis 12 Uhr zu sehen.

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