Gröbenzell:Der Dauerbrenner fürs Klassenzimmer

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Kreishandwerks- und Schreinermeister Harald Volkwein mit einer der Schautafeln, auf der die Förderung und Herstellung von Erdöl veranschaulicht wird. (Foto: oh)

Harald Volkwein besitzt den wahrscheinlich einzige Handwerksbetrieb im deutschsprachigen Raum, der Schautafeln für den Unterricht herstellt

Von Sebastian Mayr, Gröbenzell

Vielleicht ist Harald Volkwein der letzte seiner Art. Denn die Lehrmittel, die er fertigt, stellt im deutschsprachigen Raum außer ihm wahrscheinlich niemand her. Diesen Eindruck zumindest hat Volkwein aus dem guten Jahrzehnt gewonnen, in dem er die Firma "Josef Galler Plastische Lehrmittel" führt, die zu seiner Schreinerei gehört. Die Unternehmenssparte stellt Schaukästen und Materialsammlungen her, wie man sie beispielsweise aus dem Heimat- und Sachunterricht kennt. Bedruckte Tafeln, kleine Plastikschachteln und befüllte Glasfläschchen sind hinter Plexiglasscheiben in Holzrahmen gefasst. Die Schaukästen sind thematisch sortiert und mit Schlagwörtern wie Erdöl, Baumwolle oder Kakao betitelt. Die Materialboxen erlauben nicht nur, die Inhalte anzusehen, sondern auch, sie herauszunehmen und anzufassen. In einer Zeit, in der fast alles digital ist, wirken die Stoffe, Metalle, Samen und Flüssigkeiten wie Relikte aus ferner Vergangenheit.

Die Absatzzahlen sind niedrig. 250 bis 280 Schautafeln verkauft Volkwein pro Jahr. Der Jahresumsatz entspricht mit 20 000 bis 25 000 Euro in etwa dem Monatsumsatz der Schreinerei. Trotzdem hat der 62-Jährige eigens einen gut 100 Quadratmeter großen Kellerraum als Lager für die Lehrmittel angemietet, als sein Betrieb vor fünf Jahren die Straßenseite wechselte und in die jetzige Werkstatt umzog.

In dem Kellerraum stapeln sich leere Holzrahmen, liegen Kisten mit Inhaltsstoffen, lagern gefüllte Schaukästen. Volkweins Vorgänger Josef Galler, der dem Lehrmittelunternehmen den Namen gegeben hat, stellte die Schaukästen früher einzeln her. Der Schreiner hat die Produktion rationalisiert. Volkweins Mitarbeiter befüllen in der Regel fünf Kästen oder Boxen einer Art gleichzeitig. Manche werden direkt verschickt, die übrigen bleiben im Lager. Das Befüllen ist eine umständliche Arbeit, weitaus schwieriger ist aber anderes. Da sind zum einen die Vertriebswege. Der Bedarf entstehe bei den Lehrern, von denen viele gar nicht wüssten, dass solche Lehrmittel überhaupt noch hergestellt werden, erklärt Harald Volkwein. Galler, der im Hauptberuf ein Taxiunternehmen führte, klapperte die Schulen in der Umgebung ab, um den Lehrern seine Tafeln zu zeigen. Diese Zeit, sagt der 62-Jährige, habe er nicht. Ursprünglich hatte die Lehrmittelwerkstatt dadurch einmal etwa 500 Schaukästen im Jahr verkaufen können. Als Volkwein das Unternehmen übernahm, wurde dieser Wert aber schon nicht mehr erreicht.

Schwierig ist auch, das Lager zu bestücken. Denn die Tafeln und Boxen beinhalten Rohstoffe, die unverarbeitet fast nirgends zu bekommen sind. Ein Liter Rohöl reicht zwar für Unmengen der Erdöl-Schautafeln, die sich mit am besten verkaufen. Ist dieser Liter aber aufgebraucht, lässt sich Nachschub nur schwer beschaffen. Das gleiche gilt für unverarbeitete Kaffeebohnen, für Seidenraupen oder für Hanfblätter. Ein Teil des Lagers stammt noch aus Gallers Beständen, ein anderer von einem ehemaligen Biologiehandel, der inzwischen aufgegeben wurde.

Im März 2014 stellte Volkwein seine Lehrmittel auf einer Stuttgarter Fachmesse aus und bekam viel Zuspruch von Lehrern und Lehrmittelhändlern. Auch ein Angebot des Bundesernährungsministeriums erhielt er. Der Gröbenzeller hätte mit seinen Schautafeln mit dem Ministerium zusammenarbeiten können. Doch der 62-Jährige lehnte ab. "Ich habe keine Zeit, um immer wieder nach Berlin zu jetten", sagt er achselzuckend. Harald Volkwein steckt viel seiner knappen Zeit in seine Lehrmittel. Nach dem Umzug der Werkstatt wurden die Infotafeln in den Schaukästen digitalisiert und deren Layout angeglichen. "Eine tierische Arbeit." Jetzt werden einige dieser Tafeltexte ins Englische übersetzt. Volkwein will die Lehrmittel auch im Ausland verkaufen. Schon einige Male hatte er diesbezüglich Anfragen bekommen. Aus Polen, Russland und den Niederlanden. Doch wegen Problemen bei der Übersetzung verliefen die jedes Mal im Sande. Nun will sich der Unternehmer selbst dieser Arbeit annehmen.

Der Blick in die Vergangenheit ist dagegen nicht unbedingt Harald Volkweins Sache. Wann genau er den Betrieb von Josef Galler übernahm, kann er nicht mehr sagen. Zehn Jahre etwa ist es her, vielleicht zwölf. Die Geschichte dahinter ist schnell erzählt. Schon früher fertigte er die Rahmen für die Schaukästen. Es war eine Füllarbeit für auftragsarme Zeiten. Wenn wenig zu tun war, wurden die Rahmen erstellt. Den üblichen Jahresbedarf kannte man ja. Als Galler sein Unternehmen nicht mehr weiterführen wollte, sprang Harald Volkwein ein. Er wollte die Füllarbeit für seine Schreinerei nicht verlieren. Und doch war seine Motivation auch eine andere. "Ich habe das gemacht, weil ich die viele Arbeit, die hinter der Entwicklung steht, nicht einfach in die Tonne treten wollte", so der 62-Jährige. "Mich interessiert das Thema auch selbst." Doch wenn sich Volkwein, wie er es geplant hat, in fünf Jahren zur Ruhe setzt, wird sich wahrscheinlich niemand finden, der die Lehrmittelwerkstatt weiterführt. "Es ist nichts, wovon man leben könnte."

© SZ vom 09.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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