Gröbenzell:Bezaubernde Spannungsbögen

Gröbenzell: Ewa Kupiec gastierte in der Gröbenzeller Konzertreihe.

Ewa Kupiec gastierte in der Gröbenzeller Konzertreihe.

(Foto: privat)

Klavierabend in Gröbenzell mit der Pianistin Ewa Kupiec

Von Klaus Mohr, Gröbenzell

Könnte man den Begriff "Lieder ohne Worte" urheberrechtlich schützen - er wäre in der Welt der Musik Gold wert. Aber auch ohne solche Maßnahmen ist dieser Titel mit dessen "Erfinder" Felix Mendelssohn Bartholdy, vielleicht auch mit seiner Schwester Fanny untrennbar verbunden. "Lieder ohne Worte" kann aber auch als Kurzformel für den Anspruch fast aller Musik des 18. und 19. Jahrhunderts gelten: War es doch das größte Ziel aller Komponisten, Melodien zu erfinden, die, selbst wenn sie rein instrumental ausgeführt werden, am vokalen Ideal unendlicher Spannungsbögen orientiert sind. Dieses Paradigma galt in besonderer Weise für den Klavierabend am Samstag im Saal der Rudolf-Steiner-Schule, in dem die polnische Pianistin Ewa Kupiec gastierte. Auch wenn es gerade auf dem Klavier aufgrund der Tonerzeugung durch Hämmer besonders schwierig ist, veritable Bögen zu zeichnen, galt dieser Anspruch für fast alle Werke an diesem Abend, der ganz der Romantik gewidmet war.

Konzerte, bei denen ausschließlich solistische Klavierliteratur erklingt, sind landauf, landab in den vergangenen Jahren selten geworden, obwohl kein Repertoire für ein Instrument so groß ist wie das für Klavier. Die Begrenzung auf das eine Instrument und dessen Klangreichtum scheint für viele Musikfreunde vielleicht zu wenig spektakulär zu sein. Wer Ewa Kupiec, die seit dem Gewinn des ARD-Wettbewerbs in der Kategorie Violoncello und Klavier 1992 einem internationalen Publikum bekannt ist, in Gröbenzell gehört hat, wird das Gegenteil bestätigen: Dort war eine Künstlerpersönlichkeit zu erleben, die das Publikum fasziniert und verzaubert hat und die es bis zur Zugabe absolut in ihren Bann ziehen konnte. Dabei war stets ein eher kerniger Klavierton als musikalischer Ausgangspunkt wahrzunehmen, der Ausstrahlungen in sämtliche Nuancen von einer kaum hörbaren, ätherisch-sublimierten Tonqualität bis hin zum klangvollen Fortissimo hatte.

Am Beginn standen insgesamt elf "Lieder ohne Worte" aus der Feder von Mendelssohn, die Ewa Kupiec aus den jeweils sechs Liedern in acht Heften zu einer eigenen Folge zusammengestellt hatte. In gewisser Weise entstand dadurch eine Art Zyklus, denn die gewählte Tonartendisposition ermöglichte Anschlüsse ohne Brüche, und der Abwechslungsreichtum, was Tempo und Charakter anging, war beeindruckend. Letzteres lag aber nicht nur an der Faktur der Stücke, sondern auch an der farbigen Interpretation. Der führenden Oberstimme stand in den Stücken immer ein fundierender Bass gegenüber, der mehr oder weniger kontrapunktische Gegenstimme war. Dynamische Angaben setzte Ewa Kupiec im Gesamtkontext um, was bedeutete, dass die Unterschiede der Einheitlichkeit der Legatolinie wegen oft nicht zu groß ausfielen. Deutlich kontrastierte sie hingegen gestoßene Tonpassagen.

Auch die beiden Transpositionen von Schubert-Liedern durch Franz Liszt fallen sinngemäß unter die Kategorie "Lieder ohne Worte", denn hier war die ursprüngliche Liedmelodie kunstvoll in den Klaviersatz eingearbeitet. Im Vordergrund von "Ständchen" und "Erlkönig" stand jedoch nicht der virtuose Glanz, sondern die einfühlsam-kunstvolle Verarbeitung von Motivbausteinen. Zumindest für die Mittelteile der vier Impromptu von Frédéric Chopin nach der Pause galt auch die Kraft der kantablen Melodieführung, zusätzlich hatte man hier immer wieder den Eindruck, dass dem Hörer eine Geschichte mit Tönen erzählt wurde. In den Rahmenteilen beherrschte virtuose Eleganz das Spiel, wobei die perlenden Tonfolgen dennoch nie zufällig klangen, sondern immer in frappierender Balance der Stimmen auf einen musikalischen Zielpunkt hin gerichtet waren.

Das Konzert hatte mit einer Schweigeminute für die Opfer der Terroranschläge von Paris begonnen, anknüpfend an die Tatsache, dass Paris auch die Wahlheimat von Frédéric Chopin war. In "Erinnerung an die Kraft der Musik" stand auch die Zugabe, Chopins wunderbare Nocturne in cis-Moll, die Ewa Kupiec in Verbindung mit dem polnischen Pianisten Władysław Szpilman brachte, der sein Leben mit dieser Nocturne retten konnte

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