Grafrath:Grün kaputt

Dieter Weiland

Retten, was zu retten ist: der Dokumentarfilmer Dieter Wieland im Gespräch mit Marigret Brass-Kästl, Stadtheimatpflegerin von Lindau.

(Foto: Günther Reger)

Dieter Wieland redet in Marthashofen gegen die Zerstörung der Natur an

Von Heike A. Batzer, Grafrath

Es ist ja oft so mit diesem Leuten von Film und Fernsehen. Wenn sie nicht gerade als Moderatoren in der ersten Reihe stehen, kennt man bisweilen nur ihre Namen, ihre Werke, ihre Stimme. Auch bei Dieter Wieland ist das so. Der 78-Jährige sitzt in ausgewaschener Jeans und grünem Pulli im Korbsessel vor der grauen Sichtbetonwand im Kunst- und Atelierhaus Marthashofen in Grafrath. Aber als Wieland anfängt zu reden, hat man sofort den Klang dieser sonoren Stimme im Ohr, die schon so viele Botschaften zu Film- und Fernsehbildern formuliert hat. Die die Zerstörung von Dorfstrukturen, den Abriss alter Häuser, den ausufernden Straßenbau und Eingriffe in die Umwelt missbilligt hat.

Wieland sei schuld, dass er "durch keine Landschaft oder Dörfer mehr fahren kann, ohne meine Mitfahrer durch permanente Hinweise auf schöne, alte, meistens verfallende Häuser zu nerven", hatte der Kabarettist Hans Well gesagt, als er mal eine Laudatio auf Wieland halten durfte. Wieland, der nie Architektur, aber Landes- und Kunstgeschichte studiert hat, hat als Dokumentarfilmer für das Bayerische Fernsehen gearbeitet und in der Reihe "Topographie" gegen den Ausverkauf von Natur und Kulturlandschaft angefilmt. "Noch nie standen Bauernhöfe und Dörfer so nackt und kahl in der Landschaft. Genauso erbarmungslos gehen Gartenbesitzer und Eigenheimbauer gegen jeden alten Baumbestand vor", sagt er in seinem wohl bekanntesten Film "Grün kaputt - Landschaft und Gärten der Deutschen" aus dem Jahr 1983. "Wir kennen kaum noch Bäume in der freien Flur", fährt Wieland darin fort: "Aus Angst vor Herbstlaub, Fallobst und vor Schatten sind in den letzten Jahren fast nur noch kniehohe Krüppelkoniferen gepflanzt worden - pflegeleicht, aber unfruchtbar und völlig wertlos." Seine Filme haben nichts an Aktualität eingebüßt. Das ist auch ein bisschen frustrierend für ihn. Für seine Arbeit habe er "viele Orden bekommen, die nichts bringen", sagt Wieland über die Preise, die man ihm verliehen hat, stattdessen aber habe er "viele Niederlagen erlebt".

Stets aber versuchte er mit seinen filmischen Bestandsaufnahmen und seinem Engagement, das auch das Mitwirken in Bürgerinitiativen umfasst, den Blick der Leute zu schärfen und ihre Sinne zu weiten für die Umgebung. "Es gibt nichts Schöneres als hinzuschauen", sagt Wieland, "aber die Leute sehen ja nicht". Deswegen mutete er ihnen stets lange Einstellungen zu und ruhige Kamerafahrten über Häuser, Gehöfte, Dorfplätze, Grünanlagen. Jene, die zur "Vortragsreihe über künstlerisches und soziales Schaffen" nach Marthashofen gekommen sind, gehören im besten Wieland'schen Sinne zu den Sehenden. Der Veranstaltungsraum neben dem Café ist überfüllt, es werden noch Stühle herbeigeschafft, bis die fast 70 Gäste alle einen Sitzplatz haben. Sie alle eint, dass sie Wielands Missbilligungen teilen. Sie nicken, fühlen sich bestätigt.

Auch im Alter von 78 Jahren ist Wieland noch für seine Ideale im Einsatz, als Vorsitzender des Förderkreises Murnauer Parklandschaft kümmert er sich um den Seidl-Park: "Ich versuche zu retten, dass die schönen alten Bäume nicht im Wildwuchs ersticken. Denn niemand baut uns heute mehr so einen Park." Auch Marigret Brass-Kästl versucht zu retten. Die Stadtheimatpflegerin von Lindau am Bodensee, die das Gespräch mit Wieland führt, kämpft gegen ein vierstöckiges Parkhaus, das in Lindau neben der Inselhalle geplant ist, in der regelmäßig die Nobelpreisträger tagen. "Denkmalschutz ist ein zahnloser Tiger", ist ihre Erfahrung und Wieland stimmt ihr zu, verliest Artikel aus der Bayerischen Verfassung von 1946, die gelobt, die Natur zu schützen. Die Besucher nicken betroffen. Wieland aber hat die Einflussnehmer ausgemacht, die selbiges verhindern: Anwälte ("Juristen sind ganz was Schlimmes"), Politiker, Investoren. Und auch Architekten seien "heute fürs Grüne nicht mehr so zu haben". Gegen die Interessengruppen habe der Denkmalschutz keine Chance. "Wir zerstören das Echte und sättigen uns mit Surrogaten", sagt Wieland.

Bei den Besuchern in Marthashofen ist seine Botschaft längst angekommen. Rolf Tybl geht es wie Hans Well. "Sie haben mich in meinem ästhetischen Empfinden beeinflusst", gesteht der pensionierte Lehrer aus Grafrath dem Referenten. Das Beispiel, dass Wielands Kritik noch immer und allerorten berechtigt ist, liefert Tybl gleich mit: ein großes Grundstück in der Ortsmitte von Grafrath, auf dem ein neuer Supermarkt entstehen soll und auf dem der Investor am letzten Wochenende der Einwendungsfrist "alles Grün weggesäbelt hat".

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