Gernlinden:Unsichere Zukunft

Gernlinden: Ein Bild aus unbeschwerteren Tagen: Hamza (vorne) beim Familienurlaub der Wildenauers am Starnberger See.

Ein Bild aus unbeschwerteren Tagen: Hamza (vorne) beim Familienurlaub der Wildenauers am Starnberger See.

(Foto: Angelika Wildenauer)

Der 18 Jahre alte Pakistani Hamza soll abgeschoben werden. Seine Klassenkameraden, eine Asylhelferin und ein Rechtsanwalt wollen dies verhindern

Von Karl-Wilhelm Götte, Gernlinden

Hamza ist inzwischen 18 Jahre alt. Im Jahr 2015 kam der Pakistani als unbegleiteter jugendlicher Flüchtling nach Deutschland und wohnt in einer entsprechenden Unterkunft in Gernlinden. Seit September 2016 geht Hamza in die elfte Klasse der Waldorfschule in Gröbenzell. Sein Antrag auf politisches Asyl wurde abgelehnt; seitdem gilt er als ausreisepflichtig. Seine Mitschüler stellten eine Petition gegen die Abschiebung von Hamza ins Internet und sammelten bis jetzt über 7000 Unterschriften. Die Abschiebung Hamzas kann jedoch nicht umgesetzt werden, weil sein Anwalt gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Klage erhoben hat.

"Verhindert die Abschiebung unseres Klassenkameraden", lautet die Petition der Mitschüler. Seit dem Schuljahr 2015/2016 hatte die Steiner-Schule in Gröbenzell Plätze für Gastschüler eingerichtet. Die ersten beiden Plätze wurden an Hassan aus Afghanistan und Helen aus Eritrea vergeben. Wildenauer bemühte sich, einen Platz für den jungen Pakistani zu finden. Die Ärztin kümmert sich seit gut einem Jahr um den jungen Mann. Sie wohnt in Gernlinden, ist im November 2015 zur Flüchtlingsunterkunft gegangen und hat gefragt, was benötigt wird. Unterricht wurde benötigt. "Ich habe dann die Jugendlichen in Deutsch und Mathe unterrichtet", erzählt Wildenauer.

Hamza fiel ihr auf, weil er besonders in Mathematik sehr begabt ist. Im vergangenen September klappte es mit dem Gastplatz an der Gröbenzeller Waldorfschule. Hamza besucht seitdem dort die elfte Klasse. Auch die Wildenauers Tochter geht in diese Klasse. "In Mathe und in den Naturwissenschaften passt das gut", zieht sie nach einem halben Jahr eine positive Zwischenbilanz. "In Deutsch ist Hamza noch überfordert."

"Es blieben im Januar nur zwei Wochen Zeit, um die Klage einzureichen", sagt Angelika Wildenauer. "Von dieser kurzen Frist wissen die wenigsten." Die mögliche Abschiebung Hamzas nach Pakistan ist nicht einfach. Pakistan will keine abgelehnten Flüchtlinge aus EU-Staaten zurücknehmen. Doch erst einmal wird vor dem Verwaltungsgericht in München seine Klage gegen den Asylbescheid verhandelt. "Allgemein bestehen durchaus Erfolgsaussichten", formuliert Hamzas Anwalt Stefan Dornow vorsichtig. "Das hängt immer vom Einzelfall ab." Die Nachricht von der Ablehnung seines Asylantrages hatte Hamza, der nach wie vor in der Unterkunft in Gernlinden wohnt, im Januar 2017 erreicht. "Er war völlig am Boden zerstört", sagt Wildenauer. Dabei habe er ihr versichert, er habe beim BAMF alles erzählt, auch das, was er eigentlich nicht erzählen wollte. Die Taliban, die auch in Pakistan operieren, wollten ihn rekrutieren. Zwei Wochen war er bereits als in ihrem Trainingslager gewesen. Das Umgehen mit Waffen gefiel ihm nicht und er fasste einen Fluchtplan, um sich abzusetzen. "Die Taliban holen immer die ältesten Söhne aus den Häusern, um sie als Kämpfer zu missbrauchen", sagt Wildenauer, und drohten den Eltern, wenn diese sich weigern. Hamzas Flucht begann im Februar 2015 und dauerte vier Monate.

Noch ist kein Gerichtstermin anberaumt. "Das dauert etwa ein halbes Jahr", berichtet Rechtsanwalt Dornow von seinen Erfahrungen mit der Terminsetzung des Verwaltungsgerichts. Bisher ist für keinen seiner Mandanten aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck ein Verhandlungstermin bekannt gegeben worden. Dornow kennt sich gut aus mit Klagen gegen die ablehnenden Bescheide des Flüchtlingsamtes. Seit fünf Jahren gehört das Asyl- und Ausländerrecht zu seinem Arbeitsschwerpunkt in der Kanzlei. "Ich vertrete mehrere Hundert Mandanten", teilt der Rechtsanwalt aus Tutzing mit. Viele Flüchtlinge aus Afghanistan, Pakistan, Nigeria oder dem Senegal haben sich an ihn gewandt.

Die Klage Hamzas setzt die angedrohte Abschiebung bis zur gerichtlichen Entscheidung außer Kraft. Falls nach einem negativen Gerichtsurteil eine Abschiebung erfolgt, tritt das Landratsamt Fürstenfeldbruck auf den Plan. "Wir sind für Pakistan zuständig", teilt Landratsamt-Pressesprecherin Ines Roellecke mit. Bei Flüchtlingen aus Afghanistan, Senegal oder dem Westbalkan handelt die Zentrale Ausländerbehörde der Regierung von Oberbayern in München. Im vergangenen Jahr habe das Landratsamt "weniger als fünf Flüchtlinge abgeschoben", informiert Roellecke. Erfolge keine freiwillige Ausreise binnen 30 Tagen, gehe ein sogenannter "Schubauftrag" an die Landespolizei München, die unter anderem in Zusammenarbeit mit der Bundespolizei die Organisation und Durchführung einer Abschiebung übernimmt. Das bedeutet die Buchung eines Fluges, die Abholung von der Unterkunft und die Begleitung ins Flugzeug. "Sollte kein Passdokument vorhanden sein, wird ein Passersatzbeschaffungsverfahren eingeleitet", erläutert Roellecke. Viele Ausreisepflichtige würden vor ihrer Abschiebung in die zentrale Ankunfts- und Rückführungseinrichtung (ARE) nach Manching verlegt.

"Wird die Klage beim Verwaltungsgericht München abgewiesen, müsste das Gericht ein Berufungsverfahren ausdrücklich zulassen", erklärt Anwalt Dornow. "Da bestehen aber hohe Hürden." Hamza geht vorerst weiter zur Schule und bei Wildenauers ein und aus. Die sind mit sechs Kindern zwischen neun und 26 Jahren eine große Familie. Sie machen zusammen mit Hamza Ausflüge oder gehen zum Pizzaessen. Die Klage gibt ihm etwas Hoffnung, aber die Abschiebungsandrohung hinterlässt beim Hamza Spuren. "Die Ängste sind auf einmal wieder völlig konkret", gibt Angelika Wildenauer ihre Beobachtungen wieder. "Zukunftsaussichten und -pläne gelten von heute auf morgen nicht mehr." Sie empfindet den Umgang mit den jungen Flüchtlingen als unmenschlich. "Sie müssen schon mit den traumatischen Erlebnissen in ihrem Heimatort und auf der Flucht fertig werden und kämpfen oft mit Heimweh." Große Sorgen mache sich Hamza auch um seine Familie und die Geschwister.

Zu finden ist die Online-Petition im Internet unter:

openpetition.de/!rssgroebenzell

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