Germering:Träger Prinz

Germering: Dient in "Schwanensee" seiner Liebsten als Stütze bei den wunderschönsten Attitüden und Arabesken: Prinz Siegfried, getanzt von Filipp Parkachev.

Dient in "Schwanensee" seiner Liebsten als Stütze bei den wunderschönsten Attitüden und Arabesken: Prinz Siegfried, getanzt von Filipp Parkachev.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Während der männliche Held in der "Schwanensee"-Aufführung in Germerings Stadthalle blass bleibt, verzaubert die Primaballerina des Russischen Nationalballetts das Publikum

Von Valentina Finger, Germering

Wer als Kind in den Neunzigerjahren "Die Schwanenprinzessin" gesehen hat, ist Tschaikowskys Ballett gegenüber voreingenommen. In dem Trickfilm wird die barbiepuppengleiche Prinzessin Odette, wie im Libretto, von dem bösen Zauberer Rotbart in einen Schwan verwandelt. Prinz Derek, ein Jugendfreund Odettes, der sich erst in sie verliebt, als sie sich vom pickeligen Teenager zu einer schönen jungen Frau gewandelt hat, kämpft von nun an mit allen Kräften darum, die Prinzessin von ihrem Fluch zu befreien. Dieser Derek mag ein oberflächlicher Macho sein, doch er ist furchtlos, ein Meister mit Pfeil und Bogen und bereit, einfach alles für seine Auserwählte zu tun. So wie man sich einen Märchenprinzen eben immer vorgestellt hat.

Mit diesem Idealbild bricht die Darbietung von Tschaikowskys "Schwanensee" des Russischen Nationalballetts in der Germeringer Stadthalle unabsichtlich. Deren Prinz Siegfried, der mit dem gleichnamigen heroischen Drachentöter aus der Nibelungensage rein gar nichts gemeinsam hat, fehlt es die gesamte Vorführung über so sehr an Heldenhaftem, dass er sogar neben den weißen Tutus der Ballerinen blass aussieht. Getanzt wird der Prinz von Parkachev Filipp, träge und ausdruckslos, dass man sich am Ende fragt, wie so einer die Prinzessin abbekommen konnte. Diese ist nämlich eine Grazie erster Güte und ein Paradebeispiel für Körperbeherrschung und Bühnenpräsenz.

"Schwanensee" ist nicht die einzige Inszenierung der Ballettkompanie, in der Abramova Anastasiia als Primaballerina an der Seite von Filipp tanzt. Dieser jedoch fungiert die meiste Zeit als Statist, der seiner Liebsten als Stütze bei den wunderschönsten Attitüden und Arabesken dient. Sie dagegen lebt ihre Rolle vom ersten Entrée an. Ihre Darstellung der Odette strahlt vom Gesicht bis zu den Spitzenschuhen sehnsüchtige Liebe und von dunkler Magie unterdrückte Leidenschaft aus; im ikonischen Tanz der weißen Schwäne ist sie diejenige, die zu Recht alle Blicke auf sich lenkt. In der Wehmut des leidenden Schwans blüht Anastasiia auf und sein verzweifeltes Schmachten macht ihren Tanz zu einem intensiven Balletterlebnis.

Wenn der böse Zauberer Odettes dunkles Ebenbild Odile an deren statt zu dem königlichen Ball entsendet, um den Prinzen unwissentlich zur Untreue zu verleiten, ist es, als tanze eine andere diesen Part. Anastasiias Odile, deren bezauberndes schwarzes Kostüm spätestens seit dem Erfolgsfilm "Black Swan" Kultstatus hat, fehlt der Schmerz Odettes. Sie hat Freude daran, zu verführen, und dass sie die Unaufrichtigkeit liebt, spiegelt ihr Tanz voller boshafter, doch spielerischer Leichtigkeit wider. Als sie den leichtgläubigen Siegfried um den Finger gewickelt hat, setzt sie ein frivoles Lachen auf, wirft ihm die Blumen vor die Füße und zieht triumphierend ab. Mit der Rückverwandlung in Odette im folgenden Aufzug kommt einmal mehr Anastasiias tänzerische Vielseitigkeit zum Ausdruck.

Ähnlich fesselnd ist die Darstellung des Zauberers durch Mubaraskin Karim. Sein Tanz kommt einem Rausch gleich, kennt weder Anfang noch Ende und sprudelt über vor schwarzer Energie. Seine Beziehung zu Odette und Odile, das wird in ihren gemeinsamen Momenten spürbar, ist intensiver als es die Liebe des Prinzen jemals sein könnte. Trotzdem muss er sich Siegfried im finalen Kampf geschlagen geben und legt noch einmal ein explosives Solo hin, bis er besiegt zusammenbricht und Siegfried und Odette im Liebesglück zurücklässt. Es gibt alternative Enden für Tschaikowskys Ballett. In manchen Versionen sterben beide, manchmal nur einer der Liebenden. Gäbe es Gerechtigkeit, würde der Prinz in diesem Fall den Weg für die Hassliebe zwischen Odette und ihrem düsteren Peiniger frei räumen. Denn diese beiden sind mit ihrer Leistung die unangefochtenen Stars der Inszenierung.

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