Germering:Musik als Propagandamittel

Dokumentarfilm und Diskussion mit Experten: Mit einem Projekttag werden die Schüler des Germeringer Carl-Spitzweg-Gymnasiums für das moderne Gesicht der rechtsextremen Szene sensibilisiert

Von Julia Kiemer, Germering

Wenn heute das Stichwort "Terror" fällt, wird im nächsten Satz meist von islamistischen Bedrohungen gesprochen. Dass auch 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs das Gedankengut des Nationalsozialismus nicht aus der Welt ist und ebenfalls eine Gefahr darstellen kann, wird oft in den Hintergrund gedrängt. Dieser Leitgedanke hat zu einer ungewöhnlichen Aktion am Carl-Spitzweg-Gymnasium (CSG) Germering geführt. Dort möchte man dieses Thema in den Vordergrund rücken und angesichts aktueller Ereignisse wie dem Pegida-Protest oder dem Brandanschlag in Tröglitz aufklären, wie die rechtsextreme Szene heute aussieht.

Im Rahmen eines Projekttages haben die Schüler der zehnten und elften Jahrgangsstufe am vergangenen Montag den Film "Blut muss fließen - Undercover unter Nazis" von Thomas Kuban und Peter Ohlendorf angesehen. Anschließend konnten sie im Gespräch mit dem Autor und Produzenten des Films, Peter Ohlendorf, und Thies Marsen, Journalist und Rechtsextremismusexperte beim Bayerischen Rundfunk, Fragen stellen. Birgit Bayer, die Deutsch und Geschichte am CSG unterrichtet und die Veranstaltung organisiert hat, liegt das Thema am Herzen. Sascha Roßmüller, heute Politiker der NPD, war mit ihr zur Schule gegangen, und so hat sie schon damals miterlebt, wie ihr Klassenkamerad andere Schüler für den Rechtsextremismus begeistert habe.

Schon in den ersten Minuten des Films hört man die Besucher des Konzerts "Sieg Heil" rufen. Neun Jahre lang filmt Thomas Kuban mit Hilfe einer versteckten Kamera Konzerte in der rechtsextremen Musikszene. Bei seiner lebensgefährlichen Recherche erhält er Einblicke in eine Welt, in der die einstigen Parolen des Nationalsozialismus weiterleben. Er beschreibt die Konzertszene als "elementar wichtig", denn vor allem mit Rechtsrock würden die Leute geködert und dann radikalisiert. Die Musik sei bei den Jugendlichen bekannt, aber sie werde nicht immer als rechtsextrem wahrgenommen. Viele würden zu Beginn nicht auf die Liedtexte achten, und so werde den Jugendlichen die Ideologie dann eingetrichtert, heißt es im Film. Genau so würden Neonazis neue Mitglieder rekrutieren. In der anschließenden Gesprächsrunde betont Thies Marsen die Relevanz des Themas für Germering. Er verweist unter anderem auf den Brandanschlag im Asylbewerberheim in Germering im vergangen Jahr. Einige der Schüler kennen Asylbewerber, ein Junge spielt mit einem Flüchtling Fußball im Verein, eine Schülerin trifft sich regelmäßig mit einem jungen Mädchen. Es taucht die Frage auf, warum die NPD nicht längst verboten sei. Sämtliche Verfahren zum Verbot der Partei wurden eingestellt, als bekannt wurde, dass Verfassungsschutzmitarbeiter involviert waren. Dass die Polizei bei Versammlungen von Rechten oft nicht eingreife, liegt nach der Meinung eines Schülers auch daran, dass sie die Neonazis zu wenig ernst nehme. Der Journalist Peter Ohlendorf verweist daraufhin auf den schmalen Grat zwischen rechtem Gedankengut und der Umsetzung von Straftaten. Denn die Ideologie der Neonazis bringe "eine absolute Waffenbereitschaft" mit sich, warnt Ohlendorf. Fast alle Schüler sind erschrocken, wie weit das rechtsextreme Gedankengut offenbar noch verbreitet ist - und wie durch Songtexte auf den Neonazi-Konzerten die Ideologie verherrlicht wird. Ob die Texte als konkrete Handlungsanweisung fungieren, oder doch oft nur gesungen werden, da sind sich die Schüler nicht einig. Eine Schülerin glaubt, "dass viele nicht wissen, was sie da anhören und mehr nach Gemeinschaft suchen". Andere Schüler meinen, dass etwa die Hälfte der Besucher nur aus Spaß auf den Konzerten sei, der Rest seien "richtige Nazis". Wobei das ja auch eine Frage der Definition sei, bemerkt ein Junge nachdenklich. Insgesamt fanden die Schüler den Projekttag sehr lehrreich.

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